Im Bett mit dem
Militär
Bombenzensur oder
»Kollateralschaden«?
Beseitigung und
Einschüchterung der
Augen der
Weltöffentlichlichkeit
Alle Wege führen
nach Bagdad
Geheime
Machenschaften und
verdächtige Zeugen
Sehen - Hören - Schreiben - Schweigen
Katja Schmid 02.05.2003
Medienberichterstattung in Zeiten des Krieges
Nein, 2002 war kein gutes Jahr für die Pressefreiheit: 25 Journalisten sowie vier
Medienmitarbeiter wurden in Ausübung ihres Berufes getötet. In 1420 Fällen wurden
Medienvertreter bedroht oder schikaniert. 692 Journalisten saßen im Jahr 2002
zeitweilig hinter Gittern. Und in 389 Fällen wurden Medien zensiert. Soweit die
vorläufige Bilanz für 2002 der internationalen
Menschenrechtsorganisation zur Verteidigung der Pressefreiheit
Reporter ohne Grenzen. Der komplette Jahresbericht wird erst
am 3. Mai - am Internationalen Tag der Pressefreiheit also - veröffentlicht, und man
muss damit rechnen, dass diese Zahlen nicht nach unten korrigiert werden konnten.
Aktuell sieht die Lage kaum besser aus: Seit Jahresbeginn wurden
15 Journalisten getötet, 246 Journalisten bedroht oder schikaniert, 110 Journalisten
festgenommen, 120 Medien zensiert oder eingestellt, und 128 Journalisten sitzen zur Zeit
im Gefängnis.
Besonders prekär war die Lage der Berichterstatter im Irak, deshalb luden ‚Reporter ohne
Grenzen' und Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger ( BDZV)
anlässlich des Internationalen Tags der Pressefreiheit zur Podiumsdiskussion:
Sehen - Hören - Schreiben - Schweigen. Medienberichterstattung in
Zeiten des Krieges nach Berlin.
Auf dem Podium saßen Christoph Maria Fröhder, freier Journalist,
der bis vor kurzem für die ARD aus Bagdad berichtete; Bettina
Gaus, politische Korrespondentin der »tageszeitung«, Berlin; Don F.
Jordan, US-Journalist, Bonn; Michael Rediske, Sprecher des
Vorstands von Reporter ohne Grenzen, Berlin, sowie Aktham
Suliman, Deutschlandkorrespondent von Al Dschasira, Berlin.
Moderiert wurde die Diskussion von Thomas Roth, Leiter des
Hauptstadtstudios der ARD in Berlin.
Natürlich gibt es das Klischee vom draufgängerischen Kriegsreporter - doch gelte laut
Roth insbesondere in Kreisen der Kriegsberichterstatter das Motto: "no story is worth
dying for" (Keine Geschichte verdient es, dass man sein Leben aufs Spiel setzt).
Allerdings zeige das Beispiel des Focus-Reporters Christian Liebig,
dass auch vermeintlich sichere Aufenthaltsorte zur tödlichen Falle werden können. Nur zur
Erinnerung: Liebig war einer der insgesamt rund 500 ‚embedded journalists'. Am Tag
seines Todes hatte er sich aus Sicherheitsgründen dagegen entschieden, ein Kommando ins
Zentrum von Bagdad zu begleiten und ist stattdessen im Hauptquartier geblieben - das kurz
darauf von einer Rakete getroffen wurde.
Ganz unabhängig von dieser tragischen Geschichte hält Christoph Maria Fröhder die so
genannte »Einbettung« von Journalisten für eine krasse Fehlentscheidung und lehnt "das
ganze Konzept der »embedded journalists« ab". Das beginne schon bei der Ausbildung,
die meist durch Militärs erfolge - stattdessen sollte dies unter Federführung von
Journalistenverbänden wie dem DJV geschehen - und ende mit der
Unmöglichkeit, unterschiedliche Positionen zu dokumentieren, weil man seinen
Bewegungsspielraum von vornherein eingegrenzt hat. Übrigens sei ihm der Bericht eines
Teams, das hinter der Front hermarschiert, letztlich lieber als die Berichterstattung live
aus dem Panzer: denn das nachfolgende Team sieht unter Umständen mehr, jedenfalls mehr
Opfer, und kann auch besser entscheiden, was es filmt und was nicht. Denn das Ergebnis
der eingebetteten Journalisten ist bekannt: jede Menge Berichterstattung, die viele Fragen
offen lässt.
Auf dem Podium war sich einig: die Auswirkungen dieser Quasi-Live-Berichterstattung
aus dem Irak werden sich erst in den nächsten Wochen zeigen, wenn es an die mediale
Aufarbeitung des Kriegsgeschehens bzw. an die mediale Aufarbeitung der
Berichterstattung als solche geht. Wenn man sich also Rechenschaft darüber ablegen muss,
ob es journalistisch noch vertretbar ist, Kollegen quasi als Vorhut den kämpfenden
Truppen vorauszuschicken und diese Aktion dann live zu übertragen - und zwar auch dann
noch, wenn das Team unter Beschuss gerät und der Mann vor Ort Gefahr läuft, live zu
sterben. So geschehen im Falle von CNN-Korrespondent Brent Sadler, der auf dem Weg
nach Tikrit unter Beschuss geriet.
Was diesen Fall besonders brisant macht: Sadler hatte Bodyguards dabei, die das Feuer
erwiderten. Damit hat Sadler - wenn auch indirekt - gegen den Grundsatz verstoßen,
wonach Journalisten keine Waffen tragen dürfen, jedenfalls nicht, wenn sie nach Artikel
79 des Ersten Zusatzprotokolls der Genfer Konvention als Zivilisten
behandelt werden wollen. Es ist durchaus möglich, dass Sadler vermittels seiner
schießenden Bodyguards einen Präzedenzfall mit tödlichen Folgen geschaffen hat: Wenn
nämlich nicht mehr generell davon auszugehen ist, dass Journalisten - und deren Begleiter
- unbewaffnet sind, dann kann in Zukunft auf Journalisten geschossen werden, ohne dass
das sofort als Kriegsverbrechen gilt.
Weil die Angreifer ja immer damit argumentieren können, dass manche Journalisten - bzw.
deren Bodyguards - durchaus bewaffnet sind und deshalb nicht mehr wie Zivilisten
behandelt werden müssen. Aus diesem Grund verurteilte schon Séverin Cazes von der
Pariser Zentrale der Reporters sans frontières (Reporter ohne Grenzen) das Vorgehen von
Brent Sadler (vgl. Schutzsichere Westen zu vergeben) - Schutzsichere
Westen zu vergeben]. CNN dagegen bestreitet, dass hier ein Präzendenzfall
geschaffen wurde - (CNN defiant after Tikrit firefight). Die
Teilnehmer des Podiums waren freilich anderer Meinung und verurteilten die Bewaffnung
von Journalisten.
Ebenfalls diskutiert wurde die Frage, ob es sich bei der Attacke auf den Sender
al-Dschasira in Bagdad (vgl. Bombenzensur oder
»Kollateralschaden«?) um einen gezielten Angriff und damit um einen Akt der Zensur
handelte. Trotz zahlreicher Nachfragen von Moderator Thomas Roth blieb Aktham
Suliman von al-Dschasira diplomatisch: solange es dafür keine handfesten Beweise gebe,
hüte er sich vor solchen Anschuldigungen. Allerdings hege er einen gewissen Verdacht,
nicht zuletzt weil den Militärs durchaus bekannt war, wo sich das Studio von al-Dschasira
befand. Allerdings sei festzuhalten: "wer so einen Krieg führt, auf diese Art und Weise,
der nimmt auch solche »Kollateralschäden« in Kauf." Insofern sei die amerikanische
Regierung durchaus verantwortlich für den Angriff auf den Sender al-Dschasira. Natürlich
könne man den Angriff auch einem einzelnen, übereifrigen Offizier in die Schuhe schieben
- doch das ist für Suliman von geringerer Tragweite als der Generalverdacht, unter den
die amerikanische Regierung insgesamt gerät, wenn man sie für die Taktik als Ganzes
verantwortlich macht.
Was Suliman viel mehr beschäftigte als der Angriff auf al-Dschasira: die merkwürdigen
Vorgänge auf dem Flughafen von Bagdad am selben Tag. Nachdem es nämlich lange Zeit
geheißen habe, Bagdad und insbesondere der Flughafen seien doch nicht so leicht
einzunehmen wie geplant, spazierten die Amerikaner scheinbar ohne Probleme in den
Flughafen hinein. Das könne Suliman sich nur als Ergebnis einen seltsamen Deals
erklären. Seine Vermutungen zu den Hintergründen tendierten "eher in Richtung einer
Verschwörungstheorie", doch bevor er näher darauf eingehen konnte, versagte sein
Mikrophon - worauf Suliman belustigt fragte: »War das jetzt zu kritisch?«
Und was den Beschuss des Hotel Palestine angeht, so hatte nicht zuletzt Christoph Maria
Fröhder seine Zweifel an der offiziellen Version, wonach die Amerikaner lediglich
reagiert hätten auf Schüsse aus Richtung des Hotels. Zum einen habe Fröhder, der zum
fraglichen Zeitpunkt selbst im Hotel war, keinerlei Schüsse gehört. Zum anderen passe die
Position des Panzers nicht ins Bild: Der Panzer befand sich bei der Brücke gegenüber
vom Hotel, die Einschüsse dagegen auf der Rückseite des Hotels. Um also die Einschüsse
auf der Rückseite des Hotels zu verursachen, hätte der Panzer in der Lage sein müssen, um
die Ecke herum zu schießen. »Das,« so Fröhder, »können nicht einmal die Amerikaner.«
Außerdem sei nach Fröhders Erfahrung der Einschuss selbst zu klein - jedenfalls im
Vergleich mit den sechs bis sieben Quadratmeter großen Löchern, die solch ein
Panzerbeschuss normalerweise hinterlässt.
Übrigens habe Fröhder die Ablehnung von freien Journalisten im Irak seitens der
Amerikaner durchaus zu spüren bekommen. Anhand der unterschiedlich gefärbten
Akkreditierungen konnte man nämlich sofort sehen, ob es sich um ‚eingebettete'
Journalisten handelte oder nicht. So wurde Fröhder in einer Situation massiv an der
Weiterfahrt gehindert, indem man ihm mit Beschuss drohte. Tatsächlich wurde gezielt an
seinem Fahrzeug vorbeischossen. Fröhder ließ sich nicht schrecken und verlangte
stattdessen den Namen des Verantwortlichen - um beim Pentagon Beschwerde
einzureichen.
Manchmal müsse man auch bluffen: so sollte Fröhder 1991, bei seinem ersten Einsatz in
Bagdad, eine etwa 30-seitige Verzichtserklärung unterschreiben, in der festgehalten war,
was er alles nicht schreiben, zeigen, dokumentieren dürfe - ein klarer Verstoß gegen
seinen Arbeitsauftrag, vorbehaltlos zu berichten und doch üblich, wenn man sich den
Regeln des »embedded journalism« unterwirft. Fröhder verweigerte nicht nur die
Unterschrift, sondern zerriss das Regelwerk vor den Augen des Offiziers. Dann behauptete
er, dass solche Auflagen nach deutschem Recht verfassungswidrig wären und er sich in
seinem Heimatland strafbar mache. Ebenso der Offizier, denn der habe ihn gezwungen,
diese Gesetzesbrüche zu begehen. Fröhder: "Danach hatten wir eine vernünftige
Arbeitsbasis."
Freilich wäre auch Fröhder lieber, wenn die Truppen vor Ort besser vorbereitet wären
auf den Umgang mit freien Journalisten und diese von vornherein - ohne Schikanen - ihre
Arbeit machen ließen. Tatsächlich sei es in Vietnam - einer von Fröhders ersten Einsätzen
- einfacher gewesen, für Reportagezwecke die Fronten zu wechseln als im Irak. Insofern
hat sich in Sachen Pressefreiheit in den letzten dreißig Jahren zwar so manches, aber eben
doch nicht alles verbessert.
Bedenklich fand Thomas Roth insbesondere die Tendenz, dass sich
Kriegsberichterstattung zu einer neuen Form des Entertainment entwickle - was man
nämlich viel dringender brauche, ist eine nachhaltige Form der Berichterstattung. Eine
Berichterstattung also, die nicht sofort das Feld räumt, sobald die spektakulären Bilder
abgefeiert sind. Aus diesem Grund haben Fröhder und andere
Reporter das Netzwerk Recherche ins Leben
gerufen. Der Verein setzt sich nicht zuletzt dafür ein, vernachlässigte
Themen zurückzuholen in die Medien. Er verleiht auch alljährlich
die Auster an den Nachrichtenblocker des Jahres - im vergangenen
Jahr was das Innenminister Otto Schily. Denn auch in Deutschland herrscht nicht immer
und überall uneingeschränkte Pressefreiheit.
Kommentare:
getrocknete Weintrauben, aber keine Offenbarung (hopsing, 4.5.2003 20:20)
Sie unterschätzen die Italiener (euronaut, 4.5.2003 0:08)
Beide male viel Spaß! (euronaut, 4.5.2003 0:02)
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last modified: 02.05.2003
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