Die Spiegel-Bestsellerliste "Sachbuch“
Der literarische Menschenversuch
Von Denis Scheck
Diesmal mit Büchern von und über Kognitionspsychologen und Denkfallenstellern, gleich zwei Kanzlerverstehern, einem Glücksapostel und einem digitalen Apokalyptiker, einem Mann, der mit dem Zug nach Polen fährt sowie einer Frau, die schwanger wurde.
In diesem Monat bringen die zehn meistgelesenen Romane der Deutschen 4687 Gramm auf die Waage: zusammen 53541 Seiten.
Platz 10) Hans Peter Schwarz: »Helmut Kohl« (DVA, 1056 S., 34,99 €)
Klug konturiert der renommierte Biograph Hans-Peter Schwarz seine Lebensbeschreibung des ewig unterschätzten deutschen Dauerkanzlers, die er bescheiden einen »Zwischenbericht« nennt. Dieses Buch enthält trotz seines enormen Umfangs keine langweilige Seite. Eine kleine Anmerkung fernab von moralisierendem Pharisäertum kann ich mir allerdings nicht verkneifen. War die Spendenaffäre wirklich ein:
»Tornado«, der »urplötzlich über den stolzen Alt-Kanzler« hereinbrach.
Und wird man der CDU-Parteispendenaffäre, bei der Helmut Kohl persönlich über zwei Millionen angenommen hat, wirklich mit Sätzen gerecht wie:
»Genauso wenig kann es jedoch erstaunen, dass Kohl sich weigert, irgendeinen Namen zu nennen.«
Mein Erstaunen darüber hält jedenfalls bis heute an.
Platz 9: Steffen Möller: »Expedition zu den Polen«, (Malik Verlag, 288 S., 14,99 €)
Dieses neue Buch des professionellen Polen-Verstehers Steffen Möller wartet mit vielen alten Witzen und einigen neuen Weisheiten aus der Statistik auf. Aber so schön es ist, mehr über den geheimnisvollen Nachbarn im Osten zu erfahren: dass ein Kilo Zucker in Polen 14 Cent weniger kostet als in Deutschland, hätte ich nicht unbedingt zu wissen gebraucht, und irgendjemand vom Lektorat hätte bei der von Möller für sein Sachbuch gewählten Erzählform der Schilderung einer Zugfahrt von Berlin nach Warschau die Notbremse ziehen sollen.
Platz 8: Florian Langenscheidt: »Langenscheidts Handbuch zum Glück« (Heyne, 264 S., 19,99 €)
Wenig an diesem oberflächlichen Buch ist direkt falsch, manches sogar amüsant. Dennoch stürzt mich Langenscheidts Mixtur aus autobiographischen Plaudereien, Promi-Interviews, Binsenweisheiten, Lehrstückchen und Goethe-Zitaten übers Glück in eine kongoschwarze Lesedepression. Zum »Vertiefen« seiner Erkenntnisse empfiehlt dieser Autor allen Ernstes Paulo Coelho, Dietrich Grönemeyer und Eckhart von Hirschhausen. Das ist ungefähr so, als würde Ihnen ein Koch zur Vervollkommnung Ihres Geschmacks Fischstäbchen, Big Macs und Tiefkühlpizzen ans Herz legen.
Platz 7) Daniel Kahnemann: »Schnelles Denken, langsames Denken« (Deutsch von Thorsten Schmidt, Siedler Verlag, 205 S., 26,99 €)
Wie treffen wir Entscheidungen? Wie bilden wir uns ein Urteil? Wie bewerten wir Risiken? Daniel Kahnemann, Professor für Psychologie in Princeton und Wirtschaftsnobelpreisträger, hat ein richtungsweisendes Modell entwickelt, was bei solchen Prozessen in unserem Denken abläuft: die Theorie von zwei parallel arbeitenden Systemen, des schnellen erlebenden Selbst und des langsamen erinnernden Selbst. Dies ist zwar eher ein Fachbuch als ein Sachbuch, aber inmitten der Wüste dieser Bestsellerliste eine Oase.
Platz 6: Philippe Pozzo di Borgo: »Ziemlich beste Freunde« (Deutsch von Dorit Gesa Engelhardt, Marlies Russ und Bettina Bach, Hanser Berlin, 256 S, 14 Euro 90).
Inspirierende Lebensreflexionen eines durch einen Sportunfall gelähmten französischen Managers.
»Wir alle sind durch das Leben Behinderte«,
so Pozzo di Borgo. Ein schönes Trostbuch ohne Kitsch.
Platz 5: Gertrud Höhler: »Die Patin« (Orell Füssli, 296 S. 21, 95 €)
Ein wütendes Pamphlet gegen die amtierende Kanzlerin? So etwas läse man gern. Aber Gertrud Höhler dringt in ihrem Willen zur Erregung selten zur echten Erkenntnis vor. Genau wie für unseren Bundespräsidenten Gauck ist auch für sie Angela Merkel letztlich »unlesbar«. Unterm Strich bleibt da nur Höhlers Vorwurf, Merkel sei »bindungslos«, betreibe »Ideenleasing« und borge sich nach Belieben »die Markenkerne« anderer Parteien aus. Das aber einer erfolgreichen Spitzenpolitikerin des 21. Jahrhunderts anzulasten ist so, als wollte man einem Aal seine Glitschigkeit zum Vorwurf machen.
Platz 4: Rolf Dobelli: »Die Kunst des klaren Denkens« (Hanser Verlag, 256 S., 14,90 €)
Der Schweizer Schriftsteller und Unternehmer Rolf Dobelli popularisiert in seiner Sammlung kurzweiliger Zeitungskolumnen die verblüffenden Forschungsergebnisse von Kognitionspsychologen wie etwa dem ebenfalls auf dieser Liste vertretenen Daniel Kahnemann. Entstanden ist so ein kurzweiliges Brevier zur Vermeidung von Fehlschlüssen.
Platz 3: Ildikó von Kürthy: »Unter dem Herzen« (Wunderlich, 304 S., 14,99 €)
Dies ist das buchgewordene Pendant zu jenen unappetitlichen Geräuschen, die ältere Herrschaften im Park beim Blick in einen Kinderwagen von sich geben. Kürthy vermag Sätze zu schreiben wie:
»Gegen zweiundzwanzig Uhr saßen Chefarzt und Hebamme grübelnd zwischen meinen Beinen und betrachteten die Szenerie.«
Dies ist vollkommen schwachsinnige Prosa, ein Fall für die literarische Abtreibungsklinik.
Platz 2: Manfred Spitzer: »Digitale Demenz« (Droemer, 368 S. 19.99 €)
In seiner Polemik gegen Computer in Kinderhänden schreibt der Neurowissenschaftler Manfred Spitzer:
»Digitale Medien führen dazu, dass wir unser Gehirn weniger nutzen, wodurch seine Leistungsfähigkeit mit der Zeit abnimmt.«
Wenn ich mich nicht ganz irre, erhob Plato vor rund zweieinhalbtausend Jahren just diesen Einwand gegen die Einführung der Schrift. Was aus Manfred Spitzer allerdings noch keinen Plato macht. Dieses Buch ist selbst so wirr und inkohärent geschrieben, als habe Spitzer es mit dem Smartphone diktiert.
Platz 1 der aktuellen Spiegel-Bestsellerliste Sachbuch,Rolf Dobelli: »Die Kunst des klugen Handelns« (Hanser, 248 Seiten, 14,90 €)
Die Fortsetzung von Dobellis Besteller über Fussangeln des Denkens ist nicht schwächer als der erste Band und wartet mit einer in diesem Sachbuchgenre bemerkenswerten Einsicht auf:
»Wir brauchen keine zusätzliche Schlauheit, keine neuen Ideen, keine Hyperaktivität, wir brauchen nur weniger Dummheit.«
Dieses kleine Buch ist ein bescheidener Beitrag dazu.
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