Nur im eigenen Interesse
Thomas Schuler: »Bertelsmannrepublik Deutschland«. Campus Verlag
Von Ralph Gerstenberg
Ob zum Thema Gesundheitspolitik, Sozialreformen oder demografischer Wandel - die Bertelsmann-Stiftung bringt sich gerne in die Debatte ein. Ihr Wissen ist gefragt - auch in der Politik. So sehr, dass die Frage im Raum steht, ob die Arbeit der Stiftung wirklich so selbstlos ist, wie das gerne darstellt wird.
Bereits am Erscheinungstag des Buches »Bertelsmannrepublik Deutschland - eine Stiftung macht Politik« veröffentlichte Bertelsmann eine Stellungnahme. Darin weist der Vorstandsvorsitzende der Bertelsmann-Stiftung und Aufsichtsratsvorsitzende der Bertelsmann AG, Gunter Thielen, jegliche Angriffe auf den gemeinnützigen Status der Stiftung zurück. Die Stiftung, so Thielen, arbeite völlig unabhängig von den Interessen der Bertelsmann AG. Dies werde im Übrigen regelmäßig von den Steuerbehörden und der Stiftungsaufsicht geprüft. Autor Thomas Schuler hält jedoch dagegen:
»Mit dieser Kontrolle und dieser Stiftungsaufsicht ist es nicht so weit her. Ich glaube, das ist eine Aufsicht, die nicht im Sinne der Öffentlichkeit die Stiftung überprüft, sondern eine Aufsicht, die im Sinne des Stifters, der Bertelsmannstiftung, die Öffentlichkeit fernhält. Also das ist so eine gewisse Wand, die vor der Stiftung errichtet ist. Und die Prüfung des Finanzamtes: Also wenn die Situation ähnlich ist wie hier in Bayern: Da wird ja jetzt massiv drüber geklagt, dass man Personalmangel hat und Dinge eher schätzt als wirklich prüft. Ich kann mir schwer vorstellen, dass in dem kleinen Finanzamt in Gütersloh diese riesige Stiftung so ausführlich geprüft wird und jedes Detail wirklich noch mal besehen wird.«
1977 wurde die Bertelsmann-Stiftung vom Unternehmenschef Reinhard Mohn ins Leben gerufen. Nicht der plötzliche Drang nach Wohltätigkeit führte zur Stiftungsgründung, sondern eine schlichte Steuersparstrategie. Thomas Schuler zeigt in seinem Buch, dass Reinhard Mohn stets erfinderisch war, wenn es darum ging, möglichst viel Kapitalvermögen im Unternehmen zu halten. Um Steuern und Sozialabgaben zu sparen, führte er Anfang der siebziger Jahre eine Gewinnbeteiligung seiner Mitarbeiter ein, was dem wirtschaftsliberalen Konzernchef den wenig passenden Spitznamen »roter Mohn« eintrug. In der Stiftung, die mit einem Kapital von 100.000 Mark startete, wurden zunächst Spenden abgeschrieben. Später wanderten immer mehr Geschäftsanteile des Unternehmens zu ihr hinüber. Mohn brachte es fertig, den Eindruck von Gemeinnützigkeit, politischen Einfluss und die Ersparnis eines Großteils der anstehenden Erbschaftssteuer unter einen Hut zu bringen.
»Das ist ja die Aussage von Reinhard Mohn, der geschrieben hat: Die dominierende Zielsetzung, die zur Gründung dieser Stiftung führte, war, dass das Kapitalvermögen eingebracht werden kann und so die Unternehmenskontinuität gesichert wird, indem das Kapitalvermögen dann nicht mehr durch Erbschaftssteuer belastet ist.«
Seit 1977 hat die Bertelsmann-Stiftung ca. 750 Projekte auf den Weg gebracht, darunter so gesellschaftsrelevante wie die Arbeitsmarkt- und Hochschulreformen der rot-grünen Regierungszeit. Sie beschäftigt 330 Mitarbeiter und besitzt einen Anteil von 77 Prozent an der Bertelsmann AG.
»Sie müsste einen Anteil am Gewinn, an der Dividende, bekommen, der diesen 77 Prozent entspricht, für den sie ja auch den Steuernachlass bekommen hat. Aber es ist dann so, dass der sehr viel geringer ausfällt. Die Familie Mohn begründet das dann so: Die Stiftung sei ja genügsam, aber die Stiftung hat da nichts zu sagen, weil nämlich, um gemeinnützig zu sein, die Kapital- und die Stimmrechte getrennt wurden, also eine gemeinnützige Stiftung darf kein Unternehmen führen.«
Thomas Schulers Kritik richtet sich nicht nur auf die steuersparende Verflechtung von Stiftung und Bertelsmann AG. Er belegt auch anhand zahlreicher Beispiele, dass über die Stiftung immer wieder Projekte angeschoben werden, die zwar einen gemeinnützigen Anstrich haben, bei genauerer Betrachtung jedoch ganz offensichtlich den Interessen der Bertelsmann AG dienen. So versuchte die Stiftung in der Vergangenheit, die Rundfunkaufsicht zu reformieren, um die Position von Privatsendern - wie dem Bertelsmannunternehmen RTL - gegenüber den öffentlich-rechtlichen Anstalten zu stärken. Als weiteres Beispiel für einen Interessenkonflikt führt Thomas Schuler die Privatisierung von Kommunalverwaltungen an - ein Bereich, in dem von der Stiftung Konzepte erarbeitet wurden, während die Bertelsmanntochterfirma Arvato darin neue Geschäftsfelder erschloss. Eine Reform des Stiftungsrechts, die 1997 von der Grünen-Abgeordneten Antje Vollmer angeregt wurde und den »Einsatz einer Stiftung in Unternehmenszusammenhängen« unterbinden sollte, scheiterte nach der rot-grünen Regierungsübernahme.
Die Stiftung hatte zu diesem Zeitpunkt bereits beste Kontakte ins Bundespräsidial- und Kanzleramt sowie Zugriff auf das gesamte Kabinett und konnte bei ihren Projekten auf die Unterstützung fast aller Minister hoffen. Bundespräsident Roman Herzog hatte die Reformarbeit der Bertelsmann-Stiftung ein ums andere Mal als gemeinnützig geadelt. Er verlieh Reinhard und Liz Mohn das Bundesverdienstkreuz, hielt in Gütersloh die Rede zur Verleihung des Carl Bertelsmann-Preises. Der Kanzler saß im Publikum und holte die Stiftung in sein Bündnis für Arbeit.
Thomas Schuler, der sich vor sechs Jahren bereits kritisch mit der Bertelsmannfamilie Mohn auseinandergesetzt hat, versteht viel von der Materie, über die er schreibt. Der 1965 geborene Autor und Journalist hat mit ehemaligen und aktiven Stiftungsmitarbeitern gesprochen und mehrere Jahre recherchiert und Fakten gesammelt, um seine Kritik stichhaltig zu formulieren. Dass ihm das gelungen ist, daran lässt auch die Presseerklärung der Bertelsmann-Stiftung wenig Zweifel. Zwar wetterte man gegen den aus Gütersloher Sicht tendenziösen Ansatz. Inhaltlich wurde gegen Schulers Buch bislang kaum argumentiert. Der Titel sei reißerisch, findet man ausgerechnet bei Bertelsmann. Doch Thomas Schuler hat gute Gründe, warum er sein höchst informatives Buch »Bertelsmannrepublik Deutschland« genannt hat.
»In meiner Recherche ist mir immer wieder aufgetaucht, dass Leute, die Mohn kannten, erzählt haben, dass er dachte, dass die Gesellschaft und das Land so geführt werden sollten, wie er eben sein Unternehmen geführt hat. Deshalb 'Bertelsmannrepublik Deutschland'. Es hat noch einen zweiten Sinn: Wenn ich aufrechne, was an zwei Milliarden Erbschaftssteuer ungefähr erspart worden ist, und man rechnet die 800 Millionen dagegen, die die Stiftung seit 1977 ausgegeben hat, dann merkt man, dass die Öffentlichkeit der Familie Mohn dieses Privatinstitut finanziert. Und dafür, dass ein Teil gemeinnützig ist, aber auch ein Teil fragwürdig ist, finde ich das bemerkenswert und problematisch, dass also dieser Familie und diesem Unternehmen hier ein Zugang für Lobbyismus zur Politik finanziert wird.«
Ralph Gerstenberg über: Bertelsmannrepublik Deutsachland - eine Stiftung macht Politik. Der Band ist im Campus Verlag erschienen, er hat 280 Seiten und kostet 24,90 Euro, ISBN: 978-3-593-39097-0.
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