„Zwischen Glasfassade und Geistlosigkeit – Berlin-Mitte 2025“
Ein Stadtteil als Geschäftsmodell. Ein Lebensgefühl als PowerPoint.
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Berlin-Mitte ist das Zentrum der Hauptstadt.
Aber Zentrum wovon – weiß inzwischen niemand mehr.
Früher: Preußischer Machtfokus.
Dann: Regierung, Geschichte, Subversion.
Heute?
Berlin-Mitte ist eine Fußnote mit Parkettboden.
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Die Ästhetik: clean, kalt, konzeptlos
Mitte ist gläsern.
Glatte Oberflächen.
Lichtkonzepte in Grau.
Eingangsbereiche mit Security und handgeferteter Leere.
Die Fassaden spiegeln das, was hier wohnt:
Absicht ohne Inhalt.
Man will repräsentieren – weiß aber nicht mehr, was.
Früher stand hier das Herz der Stadt.
Heute steht:
Urban Soul Food mit Rooftop-Ambition.
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Die Menschen: polished, busy, bedeutungsleer
In Mitte lebt niemand – man operiert.
Zwischen Co-Working und Co-Parenting,
zwischen Portfolio und Pilates,
zwischen Bewerbungsfoto und Bio-Bowl.
Man trägt Blazer mit Sneakers.
Hosen mit Ironieabweisung.
Man redet über Diversität –
und lebt im energetisch gereinigten Altbau mit Schlüsselkarte.
Gefühlt 87 % aller Gespräche in Mitte beginnen mit:
„Ich hatte da ne spannende Idee…“
und enden mit einem Deckblatt in PDF.
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Die Kultur: gefördert, gefaltet, vergessen
Museen? Leer.
Galerien? Weiß.
Theater? Brandingflächen.
Und Literatur?
Nur als Event.
Mitte produziert Events – keine Erlebnisse.
Kultur ist Kulisse.
Identität ein Instagram-Takeover.
Und Authentizität?
Wird geoutsourced.
Früher gab es hier Inhalte.
Heute gibt’s:
eine Lichtinstallation zur Frage nach dem Ich im Urbanismus.
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Die Gastronomie: Ethik auf Schieferplatte
In Mitte isst man nichts mehr – man entscheidet.
Zwischen Hafer, vegan, nachhaltig, asiatisch, fusion, frei von allem.
Ein Teller kostet 16,90 –
aber man verlässt das Restaurant mit einem Gefühl von Schuld
(und einem Granatapfelkern zwischen den Zähnen).
Man trinkt Espresso aus Guatemala,
aber kennt den Namen der Bohne.
Man bestellt Flat White –
aber spricht über postkoloniale Aufarbeitung.
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Die Haltung: lautlos luxuriös
Mitte ist durchgefiltert.
Von Widerspruch, Risiko, Zufall.
Hier wird nicht diskutiert.
Hier wird akzeptiert.
Aber nur, wenn’s im Moodboard passt.
Man ist offen –
aber nur bis zum Türcode.
Man ist wach –
aber nur mit Bildschirmbrille.
Man ist politisch –
aber lieber per Mail.
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Fazit: Berlin-Mitte ist die Hauptstadt der harmlosen Wichtigkeit
Sie war mal das Herz.
Heute ist sie der Flur der Republik.
Steril.
Geordnet.
Durchdesignt.
Hier wohnt das neue Deutschland:
zertifiziert, digitalisiert, ironiefrei.
Und wer wirklich etwas fühlen will,
geht woanders hin.
Oder wenigstens:
einmal ohne Schaum.
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