Er war nur 1,54 groß und starb vor 100 Jahren an Syphilis. Sein Werk ist fast vergessen. Wer war der Komponist Hugo Wolf?
Eine neue Biografie gibt Aufschluss
Alle seine Weggefährten waren im Pfeifferinger Bauernsaal versammelt; und dann hielt Adrian Leverkühn, Minuten bevor er vom Klavierstuhl fiel und starb, eine Rede, in der er in seinem charakteristischen älteren Deutsch den Ursprung seines musikalischen Werks erklärte: Es sei ihm einstmals worden „eingegossen vom Engel des Giftes“ in Preßburg, als er nach seiner „Milchhexe haschte“, „den giftigen Falter kostete“ und sich mit der „Hetaera esmeralda“ vereinigte. So endet in Thomas Manns „Doktor Faustus“ die Lebensgeschichte des syphilitischen Musikers.
Viele Komponistenleben haben in die Figur des Adrian Leverkühn Eingang gefunden, aber kein Komponist ist ihm unähnlicher als derjenige, der zu Thomas Manns Hybridgestalt die Syphilis beitrug: Hugo Wolf. Die öffentliche Anerkennung, die Leverkühn letztlich den Rückzug auf einen oberbayerischen Bauernhof ermöglichte, konnte Wolf nie erlangen. Erst recht gab es in seinem Schaffen nie jenes faustisch-dämonische Element, welches im Roman Leverkühns willentliche Infizierung mit der Krankheit spiegelt. Symbolisch ist auch Wolfs Lebensende: Vereinsamt und vernachlässigt starb er 34-jährig am 22. Februar 1903 im Irrenasyl. Und während Leverkühn heute noch Legionen von Interpreten und Lesern beschäftigt, ist Wolfs Musik aus den Konzertsälen fast verschwunden. Keineswegs von ungefähr also bezeichnete Dietrich Fischer-Dieskau, als er kürzlich in Berlin eine Meisterklasse über Hugo Wolf abhielt, diesen als „fast vergessenen“ Komponisten.
Wolfs Leben ist arm an Höhepunkten. Er konnte nie glanzvoll und gefeiert in der ganzen Welt auftreten wie Richard Wagner oder Gustav Mahler, selbst die bürgerliche Solidität eines Johannes Brahms blieb ihm versagt. Eben jener Erfolg seiner Zeitgenossen war es, der ihn in den Wahnsinn trieb: Als der Wiener Hofoperndirektor Gustav Mahler, mit dem Wolf einst gemeinsam am Konservatorium studiert hatte, seinen „Corregidor“ ablehnte, verkündete der rasend gewordene Wolf in der ganzen Stadt, soeben sei er selbst zum Staatsoperndirektor ernannt worden. Wohlwollend mitleidige Freunde brachten ihn dann in psychiatrische Behandlung.
Schwer hatte Hugo Wolf es von Jugend an, die er, 1869 geboren, in einem streitsüchtigen Elternhaus im steirischen Windischgräz verbrachte. Schwer hat er es sich aber auch selber gemacht: Nach abgebrochenem Studium verdingt er sich für eine Zeit lang als Musikkritiker. Seine Kritiken aber sind so unbestechlich und mitunter derart ätzend, dass er nach kurzer Zeit alle einflussreichen Instanzen des klüngelhaften Musiklebens der k.u.k.-Metropole vergrault hat – und damit seine eigenen Werke in Wien um jede Aufführungsmöglichkeit bringt.
So bleibt ihm nur, sich von Gönner zu Gönner durchzuschlagen, die er dann nicht selten ebenfalls verprellt: Schon ein falsches Wort eines Freundes über den verhassten Brahms oder ein auch nur leise tadelndes über Richard Wagner veranlasste den hypersensiblen Wolf zu Skandalauftritten bei Abendgesellschaften, und wenn er sich beim Komponieren von Vogelgezwitscher gestört fühlte, konnte er schon mal Hals über Kopf ein gastliches Haus verlassen. Hinzu kam, dass alle seine Liebschaften unerfüllt blieben, auch wenn er in Melanie Köchert eine einfühlsame Briefpartnerin fand.
Erfüllung fand dieses Leben, wie Dietrich Fischer-Dieskau in seiner kürzlich erschienen Biografie Hugo Wolfs schreibt (der einzigen nunmehr ernst zu nehmenden), nur in der Musik. Doch auch das Komponieren fiel Wolf nicht leicht: Seine Lieder entstanden – und das kann Konsequenz seiner Krankheit sein – in regelrechten Schaffens-Explosionen, manchmal gleich mehrere an einem Tag. Dabei setzte er die Texte so exakt in Musik, dass der Eindruck entsteht, er habe den Gedichten alles Leben ausgesaugt, um seine musikalische Inspiration damit zu speisen.
Aber überall da, wo nicht die Textvertonung im Vordergrund steht, ziehen sich die Kompositionsprozesse quälend lange hin: Jahrelang müht er sich mit dem letzten Satz seines Streichquartetts, symphonische Werke – sogar nach Textvorlagen wie der Penthesilea – werden wieder und wieder überarbeitet, bevor das Interesse an ihnen endgültig erlahmt. Nicht viel besser ergeht es seinem Wunsch, eine Oper zu schreiben: Erst findet sich über Jahre hinweg kein geeignetes Libretto, und jenes, das er schließlich als „Der Corregidor“ vertont, ist zu belanglos, um ihn zu einem musikdramatisch überzeugenden Werk zu inspirieren.
Kein Wunder, dass Hugo Wolf es mit einem solchen Oeuvre heute schwer hat: Will man erkennen, was er in seinen Liedern mitteilen will – das Restrepertoire ist mittlerweile ohnehin nur noch Liebhabern bekannt - muss man ein feines Ohr für feinste Nuancen haben: nicht gerade eine sehr geläufige Fähigkeit in einer Zeit, die Gedichte weder vom Hören kennt – und vom Sagen schon gleich gar nicht. Hat man aber einmal verstanden, wie etwa ein im Text gar nicht verbalisiertes gedankliches Innehalten durch eine Nebenstimme der Klavierbegleitung ausgedrückt wird – dann lernt man in Wolfs Musik eine ungeheure Subtilität kennen: Was sein Werk auszeichnet, ist genau jene Überempfindlichkeit, die ihm das Leben so unendlich schwer gemacht hat. In dieser Hinsicht hat Hugo Wolf, schon lange bevor er dem Wahnsinn verfiel, sehr viel vom Dämonischen eines Besessenen.
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