Ein wesentlicher Bestandteil des Beamtenlebens ist die Materialbeschaffung. Anders als etwa in der freien Wirtschaft sieht sich der Beamte, der etwa einen neuen Kugelschreiber, eine Schreibtischunterlage oder einen Terminkalender braucht, in der Notwendigkeit, ausführlich begründete Anträge beim zuständigen Referat seiner Behörde zu stellen. Er muß darlegen und nachweisen, daß er in seiner Dienststellung auf die Zuteilung eines weitern Kugelschreibers angewiesen ist. Insbesondere muß er nachweisen, daß er den Altkugelschreiber, der ersetzt werden muß, nicht grob fahrlässig oder gar vorsätzlich unbrauchbar gemacht bzw. verloren hat. Dieser Antrag muß über den Dienstweg mit einer Stellungnahme seines unmittelbaren Vorgesetzten gestellt werden, und braucht in aller Regel mehrere Monate Bearbeitungszeit. Da der Beamte jedoch dienstbeflissen, wie er nun mal von Hause aus ist, solange seinen Dienst weiterversehen will, kümmert er sich nun darum, sich selbst einen neuen Kugelschreiber zu »organisieren«. Von dienstälteren Kollegen wird er nach seinen ersten dienstlichen Kontakten mit der öffentlich-rechtlichen Materialverwaltung in die Arkana des Schwarz- und Schleichhandels innerhalb der Behörden eingeweiht: Kugelschreiber kann man vom Oberinspektor N. von der Registratur bekommen, der da einen »gewissen Draht« hat. Allerdings ist Oberinspektor N. immer knapp an Aktendeckeln. Also tauscht man Aktendeckel gegen Kugelschreiber. So durchziehen diese Tauschringe wie mafiöse Strukturen unsere Behördenlandschaft. Sich in ihnen zu bewegen, sie zu pflegen und auszubauen absorbiert einen nicht unbeträchtlichen Teil der Arbeitskraft und Dienstzeit eines jeden Beamten in Deutschland. Daß man etwa einen Kugelschreiber »von Zuhause« mitbringen könnte, fällt allenfalls jungen Beamten ein. Spätestens nach 4-5 Dienstjahren wird diese Option als »völlig verrückt« bezeichnet. Schließlich hat man Familie, die ernährt werden will.
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