20 9.5.2003
Ralf Hanselle Mein Freund der Baum ist totStart Service Recherche DIE KUNST ZU STERBEN In »Der eigene Tod« verarbeitet Peter Nádas seine Nah-Todeserfahrung In der Öffentlichkeit zu sterben gilt allgemein als unfein. Selbst angesichts des Todes heißt es, Stil zu wahren. »Der Tod ist ein Skandal« - die berühmte Einsicht Elias Canettis gilt nicht nur fürs Private. Sie hat ebenso Gültigkeit für das soziale Ganze. Dem ungarischen Schriftsteller Peter Nádas zumindest ist die Vorstellung, vom Freund Hein auf offener Straße untergehakt zu werden, äußerst unangenehm. In seinem neuesten Buch Der eigene Tod, beschreibt er fast bedrückend intim, wie er mitten in Budapest von einem Herzinfarkt heimgesucht wird. »Keinen Tag«, so Nádas, »an dem ich mir nicht meinen gewaltsamen Tod vorgestellt hatte, ich wurde umgebracht oder brachte mich selber um, doch der Gedanke, ich könnte nicht gesund sein, war mir nur höchst selten gekommen«. Und so weiß er mit den ersten Anzeichen eines so trivialen Endes nicht recht umzugehen. Atemnot und unaufhörliche Schweißausbrüche stoßen bei ihm zwar auf Befremden, werden aber mit Hilfe schlechter Ausreden verdrängt: Da ist eben zu wenig Luft in der Luft. Als wäre alles nur Lappalie, fährt er fort, Manuskripte zu korrigieren, trifft sich mit Freunden und besucht städtische Kaffeehäuser. Hier aber beginnt die Panik: »Ich saß da im eiskalten Versagen meiner Existenz«. Nicht die großen Fragen nach Gott, Sinn und Ewigkeit machen Peter Nádas in dieser Situation zu schaffen. Es ist die fast lächerliche Furcht, beim Sterben erwischt werden zu können. Zwischen klapperndem Geschirr und emsigen Kaffeegesprächen gilt es, keinerlei Aufsehen zu erregen. Er winkt den Kellner heran, zahlt, besteigt ein Taxi und ist am Ende froh, dass keiner was gemerkt hat. Für Peter Nádas scheint diese deplazierte Feinfühligkeit das Ergebnis lebenslangen Drills zu sein. Als liefe sämtliche Erziehung darauf hinaus, sich im Sterbefall richtig zu verhalten. »In den ersten zehn Jahren seines Lebens«, so Nádas, »wird der Mensch durch Liebesentzug und Verweigerung der Betreuung dazu gebracht, anderen nicht mit den Phänomenen seines organischen Lebens zur Last zu fallen«. Dies gelingt ihm zunächst vorzüglich. In seiner Wohnung angekommen, zieht er sich noch frische Wäsche an, wischt sich den Todesschweiß von der Stirn - und alles nur, damit er ansehnlich bleibt, wenn man ihn dereinst dort fände. Das soziale Wesen ist eitel. Wenn sich der Tod schon nicht vermeiden lässt, dann will man wenigstens eine schöne Leiche sein. In dieser autobiografischen Schilderung aber verhält sich die Sache anders. Nach kurzem Schlaf kommt Nádas wieder zu sich, ohne dass sich was an seiner Beklemmung geändert hätte. Der Autor beschließt den Arzt aufzusuchen, der ihn direkt ins Krankenhaus bringen lässt. Zu sterben ist in der modernen Gesellschaft eine Katastrophe. Bestürzend, inmitten der anderen zu leben und in den Grenzsituationen nicht mal einen Ort des Rückzugs zu haben. Die Isolation der Sterbenden - für Tiere etwa noch selbstverständlich - ist dem Menschen nicht mehr vergönnt. In seiner Wohnung dachte Nádas noch, er könne es als Gewinn verbuchen, in der Stunde seines Todes alleine zu sein. In der Klinik hilft das nicht mehr. Er muss das Dilemma offen legen. Für einen Schriftsteller mag das doppelt peinlich sein. Schließlich ist den sogenannten Intellektuellen zumeist nichts unangenehmer, als auf die nackte organische Existenz zurückgeworfen zu sein. Sport, Erotik und der Tod - drei Dinge, die für Typen wie Peter Nádas unbedingt zu meiden sind. Und so nimmt das Unheil denn seinen Lauf. Am Ende hat er nicht nur einen erfolgreichen Wiederbelebungsversuch hinter sich, bei dem der Defibrillator ihm »den Stempel der Reanimation ins Fleisch gebrannt« hat. Das eigentliche Dilemma ist anderer Natur: »Ich glaube, klapperte ich, meine Unterhose ist naß geworden«. Peinlich. Der Tod ist nicht schlimm, weil er einem das Leben kostet, sondern weil man für Momente die soziale Kontrolle verlieren kann. Eine lebenslange Konditionierung und dann so was. Dabei hätte Peter Nádas ganz andere Sorgen haben können. Schließlich war er für Momente in jenem Zustand gewesen, den man gemeinhin als »klinisch tot« bezeichnet. Dieser aber wird in dem Buch recht beiläufig abgetan. Zwar läuft alles auf den finalen Punkt zu, ein Unglück aber scheint in diesem nicht zu liegen. Mit dem typischen Vokabular der Ins-Leben-Zurückgeholten erzählt Nádas von einem großen Licht, dem man sich wie im Sog nähert, vom Auflösen des begrifflichen Denkens und vom Zerfall zeitlicher Kategorien. Als schlösse sich im Tod ein mystischer Kreis, greift der Autor zu fast archetypischen Wendungen: »Meine Mutter hat mein Leben geboren, ich gebäre seinen Tod«. Die Sache ist eben zu unfassbar, als dass sie sich in die gemeine Gebrauchssprache zwängen ließe. Schließlich ist Der eigene Tod ja auch keine poetische Spielart von Raymond A. Moodys Klassiker über Nah-Todeserfahrungen. Eine derartige Freak-Show-Publikation, mit der der amerikanische Arzt Moody Mitte der Siebziger erstmals hinter den Grenzen des Lebens spionieren wollte, sind der umsichtigen Sprache und dem gedämpften Tonfall Peter Nádas´ völlig fremd. Nicht die Sensation steht hier im Mittelpunkt, sondern das, was man mit dem großen Wort vom »Menschlichen« bezeichnen würde. Und dass dies »Menschliche« dann noch so trivial daherkommt; dass ihm die öffentliche Inkontinenz mehr Kummer bereitet als das vielleicht nicht gelebte Leben - allein das nimmt einen für die Sache ein. Doch Der eigene Tod ist mehr als eine pointierte Geschichte über das vielleicht älteste Thema der Literatur. Neben den Text nämlich hat Peter Nádas immer wieder Fotografien gestellt. Und auch die sind auf dem ersten Blick völlig unscheinbar. Über ein Jahr lang hat er den Wildbirnbaum in seinem Garten fotografiert. Oftmals aus der gleichen Perspektive dokumentieren die Bilder den ewigen Kreislauf des Lebens. Von der Blüte über die Frucht bis zum ersten locker ansitzenden Schneemantel. Natürlich: Im Zusammenspiel mit dem Text ist die Symbolik offensichtlich. Doch sie hebt das Buch über den Status einer kleinen Erzählung über das Sterben weit hinaus. Der einstige Pressefotograf Nádas, der eher über Umwege zur Literatur gefunden hat, knüpft mit den kleinen Bildern an eine lange Ikonographiegeschichte an. Der Baum als Vanitas-Symbol, als bildliche Markierung, die dem Betrachter auf dezente Art seine Sterblichkeit vor Augen führen soll, geht bereits zurück auf die Genesis-Erzählung vom Sündenfall. Schließlich war es der Baum der Erkenntnis, an dessen Früchte auch stets der Tod mit baumelte. Von den Gemälden Hans Sebald Behams bis zu Installationen Joseph Beuys´ zieht sich dieses Todessymbol weiter durch die Kunstgeschichte. So gesehen ist Nádas Buch fast als zeitgemäßer Beitrag zur »Ars Moriendi« zu verstehen. Ein Stundenbuch, in der die Kunst des guten Sterbens nicht mehr an Frömmigkeit und Glauben festgemacht wird. Allein die Möglichkeit des Todes wieder ins soziale Bewusstsein zu bringen, ließe ein gewaltiges Potential nutzbar machen. Denn, so das Fazit am Ende des Buches: »Nachdem jemand gewaltsam zurückgeholt worden ist, geht ihn nichts mehr etwas an. Weder die Gegenstände noch die anderen Menschen, weder das eigene Wissen noch die eigene Lebensgeschichte, nichts«. Unter säkularisierten Bedingungen scheint selbst altbackenes wie memento mori nur eine Übung in Contenance. Peter Nádas: Der eigene Tod. Steidl, Göttingen 2002, 286 S., 39 EUR
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