Lothar ist heute Sekretär. Wir erinnern uns gemeinsam, aufschreiben muß er. Er schreibt und trinkt seine Schokolade, ich trinke meinen Plymouth Gin, achte auf jedes Wort, jedes Satzzeichen, manchmal jeden Buchstaben. Mein Gedächtnis ist kurz, meine Sätze sind lang, und Lothar liest mit bemerkenswerter Geduld jeden begonnenen Satz immer wieder vor.
Lothar hat am Holstenwall Plastiken entdeckt, die mich interessieren müssen. Eine Trittleiter nahmen wir mit; wäre Lothar nicht so verläßlich, ich hätte mich nicht getraut, sie zu besteigen.
Lothar verriet nichts; er ließ mich die Figur betasten, manchmal führte er meine Hand. Eine junge Frau, war zu vermuten, in einer antiken, von einem festen Ledergürtel gehaltenen Toga. Weniger antik erschien mir die an Riemen hängende Handtasche und die Münze in der rechten Hand. Eine spendable Seele voll Mitleid, eine sozial engagierte Hamburgerin?
Ich stieg eine Stufe höher, noch eine, befühlte das Gesicht, die Lockenpracht. Eine Kopfbedeckung wie ein Stahlhelm.
„Auf keinen Fall ein Stahlhelm!“ - sagte Lothar.
An den Schultern ertastete ich Bänder, die zu einem Brustlatz führen. Lothar: „Jetzt die Titten!“
Der Brustlatz wölbt sich vor, dahinter ist nichts.
Die Barmherzigkeit, dargestellt von einem Mann?
Ja, ein Mann. Keine Barmherzigkeit, vielmehr in der linken Hand ein Vorschlaghammer, lässig auf die Schulter gelegt.
Es stellt sich heraus: der junge Mann ist sparsam. Neben ihm sitzt monumental die Sparsamkeit mit einer Sparbüchse in der Hand.
Die Sparbüchse, so erkläre ich Lothar, erspart dem Bürger dieser Stadt jedes Rätselraten: hier geht es um Sparsamkeit und nichts anderes. Und, erkläre ich weiter, der junge Mann mit dem Hammer tut gut daran tut, den schwer verdienten Groschen zurückzulegen. Modell mußte er dem Künstler stehen. Stundenlang den schweren Hammer schultern. Lothar ergänzt: und sich befummeln lassen! Nein, sage ich, nur große Künstler waren schwul.
In jungen Jahren sparsam, ist dem jungen Arbeiter als altem Greis die warme Suppe sicher .
So hat mir Lothar die dritte Figur beschrieben; ich will keine suppeschlürfenden Greise betasten.
Ich weiß, daß Lothar, einer meiner drei Angestellten, so gering sein Gehalt ist, eine warme und schmackhafte Suppe mir nie verweigern wird.
Und wenn du selbst alt bist? frage ich ihn.
„Eine geile Uniform habe ich dann! Nicht nur drei Jungs wie du - eine ganze Privatarmee kommandiere ich dann!“
|