Andreas Okopenko (geb. 1930)
PROSA HINTER DEM WAHNSINN
Sie müssen entschuldigen, gnädige Frau, wenn ich Ihnen andauernd in das Gesicht huste. Es widerspricht, wie ich wohl weiß, der guten Sitte unserer Konvention.
Aber was sagt das heute, wo nicht einmal die Genfer Konvention uns zuverlässig zu schätzen vermochte.
Sie müssen entschuldigen, gnädige Frau, wenn ich Ihnen andauernd in das Gesicht huste. Aber seit dem letzten Bakterienkrieg
ist meine Lunge, wie man sagt, etwas angegriffen.
Vielleicht auch, daß der Mörteistaub
mir schadete an dem Morgen, als ich
ein Stück Kohle mit meinen Fingern
hervorkratzte unter meinem Wohnhaus.
Ich brauchte das Stück Kohle nicht
zum Heizen (es war ein warmer Früh-
septembertag), sondern das Stück Kohle
war meine Frau.
Wollen Sie, Gnädigste, es nicht als
Zurücksetzung empfinden, wenn ich hier
nochmals betone: meine Frau war hübsch ...
und so jung.
Wie man sieht, kann gelegentlich der
Fall eintreten, daß eine Photoaufnahme
mehr Ähnlichkeit mit dem Originalobjekt
hat als dessen eigene (nur umgewandelte)
Substanz. So küsse ich zum Beispiel nie
die Kohle, sondern immer das Papier.
Sie gehen heute ins Theater?
Sind Sie nicht auch, gnädige Frau, der Ansicht,
daß Jean Paul Sartre einige Schuld
am letzten Kriege zuzumessen ist?
Sie würden sich gerne mit mir unterhalten
darüber? Heute abend, wenn Sie allein
sind, sagen Sie?
28,)
Gnädige Frau, ich muß zutiefst bedauern,
doch halten andere Verpflichtungen mich ab, von diesem Vorzug Gebrauch zu machen. ich habe einen ganz bestimmten Tagesplan, an dem zu rüttein nicht in meiner Macht steht; abends zum Beispiel spucke ich
meine Lunge aus.
0 nein, beim letzten GartenfeSt war ich nicht zugegen. Drei Orchester, sagen Sie? Unter uns, gnädige Frau: Sind Sie von der Notwendigkeit eines vierten Weltkriege,
überzeugt?
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