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Schneik schrieb am 7.5. 2004 um 16:53:44 Uhr über

Bahnhofklo

Eine grün-graue, etwas rostige Tür, verschlossen; mein Blick fiel auf eine Notiz, die -wie ich augenblicklich am »Layout« des Pamphlets erkannte- mit »Word« in stundenlanger Feinarbeit erstellt worden war: Times New Roman, Schriftgröße 72, fett, zentriert.
Womit auch die Kenntnisse des durchschnittlichen PC-Anwenders über sein Arbeitsgerät - die Black Box- umrissen wären. Der Zettel verriet:
»Schlüssel an der Theke«.
Die zur Theke gehörende gastronomische
Einrichtung der Spitzenklasse mit dem wohlklingenden Namen »Bahnhofstreff«
Sie fahren weg, wir sind immer hier.«) hielt eisern und fast ein wenig trotzig, was sie verspicht: Das Übliche.
Der ganz normale Wahnsinn, runtergekommene Typen eben, die sich hier in der Rolle der vom Schicksal Gebeutelten wohl fühlen konnten, ja
sogar in eine Art Wettbewerb darüber eintraten, wer von ihnen dem näherkommenden Abgrund am nächsten sei. Nachdem sich meine Augen an die
Dunkelheit des Etablissements gewöhnt hatten, sprang mir auch schon das Objekt meiner Begierde, jener in dieser drängenden Situation so heiß
ersehnte Toröffner zum Paradies der Sanitäroase inmitten einer Wüste aus Bedürfnisfeindlichkeiten, zum Greifen nahe, schon beinahe in meinen Händen,... jetzt!
Ein letzter bestätigender Blick des Barmanns gab
mir - schon im Umdrehen begriffen - die Gewissheit, alles richtig gemacht zu haben und
nun, da ich alle Hindernisse gemeistert hatte, triumphierend einzuziehen in jenen Bereich dieser
Örtlichkeit, der Rückzug, Alleinsein, Schutz, Ruhe, Abgeschiedenheit und Reinheit all jenen Gestrandeten bietet, die ihre Reise -wahrscheinlich unfreiwillig- hier unterbrachen und sich ein wenig Muße und Erleichterung
verschaffen wollten, um alsdann gestärkt und erfrischt den Herausforderungen einer Wolfsgesellschaft trotzend den Blick für das Wesentliche bis zu jenem Zeitpunkt -der kommen wird!- aufrecht zu erhalten, an welchem ein weiterer Gipfel des kulturellen Niedergangs den
bisherigen Ranglisten-Ersten von seinem Platz verdrängt, den dieser seinerseits meist erst vor viel zu kurzer Zeit eingenommen und es sich dort auf meinem Neurosen-Thron gemütlich gemacht hatte.
Auch diesmal sollte der Thronnachfolger schnell gefunden werden, denn die Utopie der Örtlichkeit in meinem Innern entsprach in keinster Weise den empirischen Befunden, um nicht zu sagen, ich wurde mit der Wirklichkeit konfrontiert, was
anmaßend wäre und bestenfalls zufällig richtig. Glaube ich.
In meinen jungen Jahren hatte ich schon viele Örtlichkeiten betreten, benutzt, in ihnen verweilt, Zeitung gelesen, geraucht, geraucht, Kacheln gezählt und das Fenster aufgemacht.

Ich kann sagen, dass ich auf eine breite und bunte Erfahrung im Bereich der Sanitäranlagennutzung zurückblicke. Auch pflege ich zuweilen, ein wenig länger als es vielleicht dem allgemeinen Anstandsempfinden entspräche, dort zu verweilen in der seligen Gewissheit,
die Luft dieses Raumes mit niemandem
teilen zu müssen. Gerade bei gesellschaftlichen Anlässen und Festivalitäten verschafft es mir eine ungeheure Befriedigung, zwar mit einiger Berechtigung feststellen zu können, dass ich dort sei, jedoch mich gleichzeitig auch an einem ganz
anderen Ort befände, unendlich weit von Gesellschaft entfernt, an dem buchstäblich hinfortgespült wird, was wir schon verdaut haben - hübsche Analogie, wie ich finde.

Möglicherweise trifft mein gesteigertes ästhetisches Empfinden in Bezug auf das Phänomen »Klo« nicht uneingeschränkt auf das Echo respektive Verständnis, welches notwendig wäre, um nachvollziehen zu können, dass ich aus der sich mir darbietenden Kloszenerie dieses Bahnhofs die eine Schlussfolgerung zog:
Wenn niemand da ist,
um die Spuren des Verdauten,
dessen wir uns entledigt haben,
wegzuwischen, gibt es für uns keinen Ort.

Nicht in dieser Welt.


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