¬ Meine Leben auf den grünen Lande ⌜
Von Z. U. Lettern
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Die deutsche Gesellschaft des Jahres 2019 war eine Gesellschaft in der Krise. Nicht nur, dass der grundlegende Kit der Gesellschaft verloren zu gehen schien, peinlich und provozierend zugleich war, dass irgendwelche abgebrochenen Studentinnen der Theaterpädagogik, die auf die simple Frage, »wie viele Geschlechter gibt es?«, keine Antwort mehr finden können, sich als die letzten Hüter von Rationalität und Wahrheit aufspielten.
Es war auch eine Zeit großer Möglichkeiten. Wie jede im Niedergang begriffene Gesellschaft, so konnte man auch bei den Deutschen sehr großen Gewinn machen, indem man den Leuten Dinge verkaufte, durch die sie sich sicherer und weniger Unwohl fühlten. Mein Freund Egon und ich haben einigen tausend Euro dadurch gemacht, dass wir in »grüne Lehrveranstaltungen« investierten. Es waren meiner Erinnerung nach schon immer hauptsächlich Frauen, die diese Wochenendkurse belegten. Meist Frauen mittleren Alters, die im zivilen Leben höchsten Wert auf Emanzipation und Selbstverwirklichung legen, aber hier lernten, wie ihre Urgroßmütter zu Kochen und zu Stricken. Alles für die Umwelt, versteht sich. Den Löwenanteil der Frauen müssen Beamte, Angestellte des Öffentlichen Dienstes oder der Unternehmsverwaltung ausgemacht haben. Fast alle waren »gut situiert«, was im Klartext nichts anderes hieß, als das sie sich es leisten konnten. So ist es nun mal, kleb ein Preisschild dran und die Großbürger tun wieder die lächerlichsten Sachen, über die sie sich sonst erhaben fühlten, wie die Arbeit auf einen Bauernhof. Der wohlhabende Städter erlebt die Erfolg seiner eigenen Arbeit meist erst dann, wenn er gezwungen ist, wieder mit den Händen zu arbeiten. So eine Verwaltungsbeamtin ist ja von den Resultaten ihrer eigenen täglichen Arbeit so weit entfernt wie ein Flühwürmchen von der Sonne.
Natürlich ging es in unseren Kursen nicht nur ums ökologisch richtige Kochen oder die Wiederverwertung von Kleidung, Meditation und Yoga kamen ebenfalls nicht zu kurz. Ursprünglich hatten wir Yoga gar nicht geplant, aber dann trat Manuela A. auf den Plan. Manuela war 40 Jahre alt, geschieden und Mutter von zwei Kindern. Beruflich war sie schon vorher als Yoga-Lehrerin tätig. Sie besuchte unsere Kurse als eine der ersten Teilnehmerinnen und sprach mich direkt an. Wie geschrieben, für Egon und mich waren die Lehrveranstaltungen nur eine Quelle für ein höheres Nettoeinkommen, doch sie sah das naturgemäß anders. Sie schwärmte von der guten Atmosphäre, die wir geschaffen haben, und versicherte mir, dass sie »unsere Vision« teile und fand es sehr wichtig, dass »wir die einfachen Dinge wieder lernen«. Manuela beeindruckte mich schon bei diesem ersten Treffen sehr. Nicht so sehr durch ihre Aussagen, sondern aus zwei Gründen. Erstens fand ich die tiefe und aufrichtige Überzeugung, dass wir hier an etwas großartigen Arbeiten und »die Menschheit verbessern, vielleicht retten«, sehr schmeichelnd und sie konnte darüber auf eine besondere Art Reden, auf der man ihr das auch sofort abkaufen könnte; zweitens fand ich sie attraktiv. Trotz ihres Alters und der Schwangerschaften hatte sie einen schlanken Körper, eine blonde Kurzhaarfrisur und die himmelblausten Augen, die man sich vorstellen kann. Manchmal, wenn ich sie ansah, musste ich erst genau hinsehen, um eine 40 Jahre alte Frau vor mir zu erkennen.
Normalerweise wäre sie gar nicht mein Typ. Doch irgendwie war hier alles anders. Obwohl ich dem Duft von Meditationskerzen und Räucherstäbchen nie etwas abgewinnen konnte, gestattete ich sie ihr. Schon bald darauf war sie als selbstständige Yoga-Lehrerin unter Vertrag bei uns. Das war vielleicht die beste Entscheidung, die ich jemals getroffen habe, denn Manuela war in unserer Zielgruppe gut vernetzt und so bereitete sich die Botschaft von unseren Angebot sehr schnell aus. Schon bald konnten wir uns vor Buchungen kaum mehr retten und Egon hatte alle Hände voll zu tun, trotzdem kleine Gruppen zu organisieren und genügend »Lehrer« zu finden. Übrigens waren auch die Lehrer fast ausnahmslos Frauen. Von der einen Ausnahme haben wir uns im Laufe der Zeit auch noch getrennt. Stattdessen haben wir »Women only«-Kurse eingeführt. Egon war anfangs skeptisch, aber der Erfolg gab mir auf ganzer Linie recht. Die »rosa Kurse«, wie wir sie untereinander nannten, waren ein super Geschäft. Das ursprüngliche Konzept war sehr einfach gehalten, wir boten exakt das selbe an wie vorher, auch für den gleichen Preis, aber organisierten Gruppen, in denen nur weibliche Teilnehmer waren. Die waren da unter sich. In den »normalen Kursen« konnte sich schon mal der ein oder andere Mann verirrt haben. Um ehrlich zu sein, Macho-Verhalten oder auch nur rüdes Benehmen kamen bei unseren Kursen niemals vor. Wenn in Einzelfällen das Verhalten der Teilnehmer ein Problem war, denn eigentlich nur wegen zickigen Verhaltens der weiblichen Teilnehmer untereinander und das haben wir komplett sich selbst überlassen. Warum die rosa Variante so gut ankam, erschließt sich mir bis heute nicht.
Unter den Einfluss von Manuela kam es dann allerdings zu kleinen Änderungen. Themen wie »spirituelle Selbstfindung« und eben Yoga rückten mehr in den Mittelpunkt. Ich musste mich da ganz schön gegen Egon durchsetzen und hatte selbst meine Zweifel, aber diese waren völlig unbegründet. Unsere inoffizielle Marketing-Managerin Manuela hatte korrekt erkannt, dass ökologisch korrektes Kochen oder altmodische Hauswirtschaft einfach nicht so anziehend waren, wie ein Wochenende lang mit anderen Frauen zu einlullender Musik im Kreis zu sitzen und sich auf sich selbst zu konzentrieren. Wir boten bald auch Kurse an Wochentagen an und organisierten »fortgeschrittene«, längere Seminare. Zu der Zeit kündigte Egon seinen bürgerlichen Job und widmete sich Vollzeit der Organisation unseres Nebenerwerbs. Wir beide hatten mehr als genug Geld und zogen in größere Häuser in besseren Wohngegenden.
Achja, Manuela. Ich habe ihre Kinder nie kennengelernt und habe darauf auch keinen Wert gelegt, weiß aber von ihr, dass mindestens eines von ihnen studiert. Manuelas finanzielle Situation schien nicht einfach gewesen zu sein, sie bekam von ihren Ex-Mann zwar Unterhalt, aber schlug sich sonst als Yoga-Lehrerin durch. Dafür gab sie eine Halbtagsstelle als Verkäuferin in einem Reformhaus auf. Mir war das ganz recht, es gefiel mir, sie um mich zu haben, ihr Optimismus und ihre Bewunderung für das, was wir tun, war ansteckend. Ich bin sicher, Manuela schauspielerte das nicht, dafür war der Klimawandel und der Zustand unseres Planetens ja auch viel zu ernst. Manuela schauspielerte aber an einer anderen Stelle, ihre Freundlichkeit zu Egon schien unaufrichtig zu sein, er »erinnert mich manchmal an meinen Ex«, wie sie mir gestand. Ebenso konnte sie zwei ihrer Kolleginnen und einige der Gäste überhaupt nicht ausstehen, wie sie mir anvertraute. Manuela tat dennoch sehr freundlich und hätte ich nichts gewusst, ich hätte das gar nicht für möglich gehalten.
Was Manuelas Einstellung zu Egon angeht, so habe ich zumindest teilweise Mitschuld. Es war generell unsere Geschäftspolitik, dass wir unsere »Vertragspartner« (Meditationsberaterinnen, Hauswirtschafts-Lehrerinnen, GastsprecherInnen über Ökologie...), neben Manuela selbst allein drei Yoga-Lehrerinnen, die in einigen Kursen unterrichteten, nicht in die Interna unserer Finanzen einweihten. Jeder Geschäftsmann wird nachvollziehen, warum. Da wir auch Förderungen erhielten und vorsichtig mit Ausgaben waren, hielt sich das Gerücht, dass wir eigentlich kaum Gewinn machten. Ich sprach niemals mit Manuela über unser Geld und überließ die Vertragsverhandlungen allein Egon. Wenn Manuela ihre Ideen zur Verbesserung unserer »Vision« einbrachte, dann zog ich mich immer darauf zurück, dass ich mit Egon reden müsse. So entstand in Manuelas Kopf ungefähr folgendes Bild: Ich war der »spirituelle«, ihr aufgeschlossene Visionär und Egon war der betonköpfige Zahlenmensch, der immer alles verhinderte.
Ihn war das egal. Egon war an Manuela kein Stück interessiert und verstand meine Vernarrtheit in diese ältere Frau im Grunde nicht. Ich verstehe ja selbst kaum, was mich so an ihr reizt. Einmal erzählte sie mir eine kleine Geschichte. Beim Yoga war eine Frau einmal so entspannt gewesen, dass sich ein Furz lockerte und die gesamte Gruppe herzhaft lachen musste. Als sie in der ersten Woche bei uns arbeitete, begann sie unvermittelt: »Du weißt gar nicht wie schwer es meine Freundin hat, einen gute, reifen Mann zu finden. Ich meine natürlich nicht 'reif' im Sinne von 'alt', sondern in innerer Hinsicht gereift. Nicht nur sich selbst, sondern auch die Welt in der wir leben im Blick haben«. Manuela sah mich da mit ihren traumhaften Augen an und... Ich muss gestehen... wir liebten uns auf einer Yoga-Matte. Es blieb nicht bei diesem einen Mal, denn, so erklärte Manuela mir, es ist wichtig »dass sexuelle Spannungen abgebaut werden, damit die Energien frei fließen können«. Ist es da eine Überraschung, dass ich Manuelas Glauben schnell zu respektieren lernte? Sie ist für eine Frau ihres Alters erstaunlich gelenkig und treibt wohl schon seit frühster Jugend akrobatischen Sport.
Irgendwann erklärte sie mir, dass unsere Beziehung »nicht nur emotional, sondern auch auf einer tiefen, seelischen Verbundenheit basiert«. Da ist irgendwas dran. Durch die Beziehung mit ihr wurde ich schon ein anderer Mensch. Nur ob das an irgendwelchen Energien liegt, wage ich nicht zu behaupten. Regelmäßig treffe ich mich mit ihr, wenn sie bei uns arbeitet. Sie vertraut mir immer mehr an und auch ich schütte ihr manchmal mein Herz aus. »Ach«, flüssterte sie mir einmal zu, »hätte ich doch damals dich statt meines Ex-Mannes kennengelernt«. Ich antwortete Scherzhaft, »damals war ich 15 Jahre alt«. Wir mussten beide über den Altersunterschied lachen.
Eine weitere sehr angenehme Seite von Manuela war, dass sie überhaupt nicht besitzergreifend war. Entweder lag das daran, dass sie sich für meine »Seelenpartnerin« hielt und deshalb ohnehin keine Konkurrenz fürchtete oder es war eine psychologische Folge der Scheidung. Vielleicht war es auch ein Eingeständnis an den Altersunterschied?
Einmal, da half ich den Energien in Manuelas Körper dabei, frei zu fließen und erzählte ihr im Anschluss von einem Date, das ich gehabt habe und sie gab mir sogar Tipps. Sie kannte die Situation von ihren jüngeren Schülerinnen und natürlich aus eigener Lebenserfahrung von der weiblichen Seite. Das war sehr hilfreich. Manuela selbst lerne auch einmal einen Mann kennen. Rechtsanwalt, 43, ebenfalls geschieden und er sieht seine Kinder nur am Wochenende, wenn sie bei uns jobbte. Er war finanziell solvent, größer als ich und entsprach wohl auch sonst eher ihren Vorstellungen von einen »richtigen Mann« als das Bild, das sie sich von mir gemacht hatte. Okay, er würde ihr auch niemals von seinen Träumen oder dergleichen erzählen.
Ich revanchierte mich, indem ich sie auf die Ähnlichkeit zu ihren Ex-Mann hinwies. »Ja, da hast du wohl recht«. Trotzdem, während ihres Urlaubs fuhr sie mit ihn in den gemeinsamen Urlaub. Sie begründete das mit dem »ausgleichenden, männlichen Prinzip«, Ying und Yang. Seltsamerweise war ich überhaupt nicht eifersüchtig, sondern beglückwünschte sie eher.
Doch ich habe mich wahnsinnig darüber gefreut als sie mir erzählte, dass dieser Anwalt-Typ sich noch mit anderen Frauen traf. »Du hast mich gewarnt und ich habe nich auf dich gehört. Du stehst eigentlich immer hinter mir«, sagte sie mit Tränen in den Augen.
Ich hoffe, damit habe ich meine Beziehung zu Manuela für die Leser ausreichend charakterisiert. Sie war für mich ein doppelter Gewinn, sowohl beruflich als auch privat. Ich hoffe vom Herzen, sie nicht völlig aus meinen Leben zu verlieren, aber ich weiß, dass der Tag kommen wird, an dem sie einen anderen Mann findet.
Was mein Business angeht, so expandiere ich kräftig. Bis 2020 will ich Niederlassungen in ganz Deutschland errichten und auch auf andere Bereiche der Öko-Ökonomie expandieren. Wer weiß, vielleicht brauchen auch Arbeitslose eine Schulung in Sachen ökologischer Lebensweise? Ich habe gehört, dass das Arbeitsamt da eine reiche Quelle von Aufträgen ist."
© Grafshop 09.11.2019
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