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wuming schrieb am 10.5. 2003 um 23:48:36 Uhr über

Bücherverbrennung

Brenn, Autor, brenn!

Die nationalsozialistische Bücherverbrennung am
10. Mai 1933 und ihre Vorbilder

Im Mai 1976 verbrannte ich, noch 14-jährig, drei Bücher.
Ich hatte sie von Verwandten bekommen, zur
Konfirmation. Die Großonkel und -tanten, anders als ich
an Büchern nicht interessiert, hatten Konsalik geschenkt.
Ich probierte, doch selbst die ausgeprägte Lesesucht
half nichts. Das Zeug war tendenzbraun und blöd, mies
heruntergeschmiert, bah. Im Garten brannte es dann
aber schön zügig weg.

Damals wusste ich noch nicht, dass Verwandte Leute
sind, an die man weiterverschenkt, was man selber auf
keinen Fall behalten will. Der Altpapiercontainer,
Schutzheiliger gut sortierter Bücherregale, war noch
nicht in Mode, und von Bücherverbrennungen in groß
organisiertem Stil hatte ich ebenfalls keine Ahnung. Das
änderte sich - durch Bücher, die ich las.

Zum Jahrestag der nationalsozialistischen
Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 wird gern ein Satz
aus Heinrich Heines Drama »Almansor« zitiert: "Das war
ein Vorspiel nur, dort, wo man Bücher verbrennt,
verbrennt man auch am Ende Menschen." Gedeutet wird
er als prophetische Aussage über den
Nationalsozialismus - Heine aber zielte bei der
Niederschrift nicht auf die Zukunft, sondern auf seine
eigene Zeit: Am 18. Oktober 1817 verbrannten deutsche
Burschenschaftler auf der Wartburg bei Eisenach 28
Schriften, die ihrer völkischen Germanomanie im Weg
waren. Zusammengestellt hatte die Liste Friedrich
Ludwig Jahn, der Gründer und Führer deutscher
Burschen- und Turnerschaften, der in seinen
»Runenblättern« ein »heiliges deutsches Kaiserreich«
ebenso forderte wie die Verbindung des "echten,
unverfälschten Deutschen Volksthums» mit dem «reinen
Christenthum» und eine «Allgemeine Deutsche
Volkstracht". Jahn, bis heute harmlos klingend
»Turnvater« genannt, war die alldeutsche Antwort auf die
Französische Revolution, deren zivilisatorische
Wirkungen er tollwütig bekämpfte: Wenn einer "seinen
Töchtern Französisch lehren läßt», schrieb er, «so ist das
ebensogut, als wenn er ihnen die Hurerei lehren läßt".
Die Deutschen sollten zurück in den Teutoburger Wald,
angeführt von Jahn, der Hermann den Cherusker
nachträglich mit Jesus kreuzen wollte, zur Entstehung
eines Monsters, das er »Urdeutschthum« nannte.

Sein ausführender Handlanger auf der Wartburg war der
Student Hans Ferdinand Massmann, der bei
Fackelschein einen Korb mit Büchern herbeischleppte,
einen Holzstoß entzündete, in den er die Bücher mit
einer Heugabel hineinschaufelte und deklamierte:
"Wehe über die Juden, so da festhalten an ihrem
Judenthum und wollen über unser Volksthum und
Deutschthum schmähen und spotten!" Die Goebbels
Geschrei vorwegnehmende pathetische Drohung war
todernst gemeint: August Ferdinand von Kotzebues
Schrift "Noch ein paar vernünftige Worte über die
Turn-Angelegenheit nebst Proben von Unvernunft" wurde
auf der Wartburg im Beisein jenes Leutnants Sand
verbrannt, der Kotzebue zwei Jahre später ermordete.

Gut 100 Jahre später waren wiederum rechtsnationale
Burschenschaftler beteiligt, als in München Lesevorträge
des Dichters Joachim Ringelnatz zuerst gestört und
später untersagt wurden; der eher unpolitische
Ringelnatz verspöttelte in seinen »Turngedichten« den
»ewigweiblichen Turnvater Jahn«. Aufführungen von
Brecht-, Bruckner- und Wedekind-Stücken waren in
München durch Tumulte und gewaltsame
Ausschreitungen verhindert worden, ohne dass die
Polizei eingegriffen hätte. Der Münchner
Polizeipräsident Pöhner hatte schon 1921 seine
Weigerung, Aufführungen von Schnitzlers »Reigen«
schützen zu lassen, so begründet: "Das Stück spricht
jedem gesunden Volksempfinden Hohn und erregt daher
mit Recht in weiten Kreisen der Bevölkerung Anstoß."

Ringelnatz, angeekelt vom geistigen Klima in Hitlers
»Hauptstadt der Bewegung«, schrieb über München:
»Diese Stadt soll lebendig verwesen«; 1930 übersiedelte
er endlich nach Berlin und dichtete frohlockend: "Nach
Berlin, nach Berlin, / Nach Berlin umzuziehn, / Aus der
dümmsten Stadt in der Welt …" Doch was ihn in
München gequält und zermürbt hatte, holte ihn auch in
Berlin rasch ein: Die Nazis erteilten Joachim Ringelnatz
Auftritts- und Berufsverbot. Er starb, völlig mittellos
geworden, im November 1934, anderthalb Jahre nach
der Bücherverbrennung. Seinen Kollegen Erich Mühsam
und Carl von Ossietzky war es so ergangen wie 115
Jahre zuvor August Ferdinand von Kotzebue: Nach den
Büchern wurden auch die Verfasser gemordet.

Am 10. Mai 1933 zelebrierte die gleichgeschaltete
»Deutsche Studentenschaft« mit führenden
Nationalsozialisten die Verbrennung ihrer Feinde - in
nazigigantischem Ausmaß auf dem Berliner Opernplatz
und kleiner, aber nicht minder tödlich, in anderen
deutschen Universitätsstädten. Was als jüdisch,
pazifistisch, marxistisch oder praktischerweise gleich als
alles drei einsortiert war, kam auf den Scheiterhaufen.
Der Triumph der Nazis hatte nur einen kleinen
Schönheitsfehler: Sie konnten die meisten Schriftsteller
nicht gemeinsam mit ihren Werken umbringen. Genau
diese Praxis hatte noch im Mittelalter die katholische
Inquisition vollzogen, zur Sicherheit quasi: Wer erst mal
verbrannt ist, der schreibt nichts mehr.

Am 12. Mai 1933 erschien in der Wiener
Arbeiterzeitung ein berühmt gewordener Artikel von
Oskar Maria Graf: »Verbrennt michIn ihre erste Liste
verbotener Bücher hatten die Nazis von den 13 Büchern
Grafs nur seine Autobiografie »Wir sind Gefangene« von
1927 aufgenommen. Verständlicherweise fragte Graf,
womit er die »Unehre« verdient habe, dass sein übriges
Werk nicht »der reinen Flamme des Scheiterhaufens«
übergeben worden sei.

Riecht es heute im Mai verbrannt in Deutschland, handelt
es sich nicht mehr um Bücher, allenfalls um die von
Günter Grass, die er höchstpersönlich aus Eitelkeit
ansteckt, um zu beweisen, wie verfemt und verfolgt er
doch angeblich sei - er, Grass, der sozialdemokratische
Mainstream-Schnacker. So etwas tun nicht einmal die
Barbaren Dieter Bohlen und Stefan Effenberg. Nein,
wenn es jetzt brutzelstinkt im Land, dann haben wir es
mit buchferner Kokelei zu tun: Der Vorgang heißt
angrillen.

WIGLAF DROSTE

taz Nr. 7050 vom 10.5.2003, Seite 28, 204 Zeilen


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