Ich möchte gerne irgendwo sein, wo dieser Irrsinn um mich herum etwas weniger aufdringlich und zerstörerisch wäre. Ich möchte irgendwo hin, wo der Spirit ein wenig spiritueller und die Zukunft deutlich zukunftsfähiger wäre. Vielleicht werde ich mich in der Schlange derer anstellen, die nach Auroville gehen möchten.
Der CutAndPaste Teil:
Dem indischen Denker Sri Aurobindo verdankt sie ihren Namen und ihre Philosophie: die Stadt Auroville, 1968 von dessen Witwe Mira Alfassa mit Hilfe der Unesco und der indischen Regierung gegründet. Sie sollte ein Modellprojekt für Frieden und Völkerverständigung sein und ist bis heute ein gesellschaftspolitisches Versuchslabor mit 2000 Einwohnern. Denn in dieser Stadt ist alles anders: Gleichheit statt Kaste. Keine Polizei, keine Gerichte, keine Gefängnisse. Auroville ist ein Utopia mitten im südindischen Dschungel.
Zwar hat die Stadt ein Rathaus, allerdings gibt es keinen Bürgermeister. Politische Entscheidungen trifft die Vollversammlung. Der Italiener Luigi Zanzi kennt das seit 25 Jahren. Warum er hierher kam? »Ich war ein Abenteurer«, sagt der Stadtplaner, »unzufrieden mit all den Antworten, die die Religionen oder die Ideologien für mich bereit hielten. Ich hatte alles ausprobiert. Ich träumte damals den Traum der 68er-Generation. Aber auch damit war ich nicht zufrieden. Als ich nach Indien kam, war ich fasziniert von einer Spiritualität, die das Ich und das Leben als zwei verschiedene Dinge betrachtet«.
Ein Ort, der niemandem gehört
Mitbegründerin Mira Alfassa starb 1975 mit 95 Jahren. Ihr Traum war ein Ort, der niemandem auf der Welt gehört, ein spiritueller Ort. »Im 20. Jahrhundert hat sich der menschliche Geist derart entwickelt. Das Ergebnis sind unglaubliche Errungenschaften im wissenschaftlichen und technologischen Bereich«, erklärt Esther Patel, Auroville-Beaufragte der indischen Regierung, und fügt hinzu: »Das gab es nie zuvor. Aber gleichzeitig spüren wir, dass wir an unsere Grenzen stoßen, weil unsere gesamte Lebensführung nur rationalen Prinzipien folgt. Vielleicht sei damit «der Zeitpunkt gekommen, an dem wir ein Bewusstsein finden müssen, das unseren Geist überragt".
Auroville ist heute eine blühende Stadt mit 2000 Einwohnern, die den dritten Weg sucht zwischen Sozialismus und Turbokapitalismus. Bildung wird groß geschrieben. Die internationale Schule öffnet ihre Pforten nicht nur für die Kinder von Auroville, sondern auch für Tamilen. Zudem versorgt das Gesundheitszentrum kostenlos. Doch Auroville ist kein Hippieparadies für esoterische Aussteiger und Schmarotzer. Ganz im Gegenteil: Was zählt, ist harte Arbeit. Es gelten klare Regeln.
Alles gehört der Gemeinschaft
Die Spielregeln seien sehr einfach, sagt Luigi Zanzi: »Hier gibt es keinen privaten Grundbesitz, keine Selbstbereicherung durch Handel, keine Drogen, und die Leute dürfen weder Politik betreiben noch einer Sekte angehören.« Trotz der strengen Aufnahmekriterien für Neuankömmlinge ist die Warteliste lang. Wer nach Auroville kommt, erkauft sich ein lebenslanges Wohnrecht, das Haus selbst gehört nicht ihm, sondern der Gemeinschaft. Koordiniert wird das »Wohnen ohne Eigentum« von Leuten wie Elvira Klein-Rex aus Deutschland. Für ihre Arbeit beim so genannten Housing Service bekommt sie den einen Einheitslohn, der für alle gleich ist in Auroville - egal ob Arzt, Lehrer oder Verwaltungsangestellter.
»Eine Definition von Gemeinschaft ist das Teilen, bemerkt Elvira Klein-Rex, «dass man wirklich miteinander lebt und nicht mehr in diesen kleinen Einheiten». Das Ideal, nach dem die Menschen in der Modellstadt leben, lautet daher: «Ich kriege das, was ich brauche von der Gemeinschaft, um zu leben." Im Gemeinschaftsbesitz befinden sich auch die insgesamt 70 Betriebe von Auroville. Die Firma Auromode etwa exportiert Textilien weltweit. 200 Menschen, überwiegend Tamilen, arbeiten hier für eine angemessene Bezahlung, acht Stunden am Tag inklusive Urlaubsanspruch. Insgesamt hat die Stadt 5000 Arbeitsplätze für Tamilen geschaffen. Die Unternehmerin Adelina Intanno bezahlt sich ebenso wie ihren Mitarbeitern ein Gehalt. 40 Prozent des Umsatzes fließen in die Gemeinschaft. Davon werden Bildung, Gesundheit und Kultur für die Stadt finanziert.
Subventionen finanzieren Utopia
»Das Konzept, kein Vermögen zu besitzen, ist nicht einfach eine Vereinbarung auf einem Stück Papier«, verkündet Intanno. »Es geht um viel mehr. Es ist verbunden mit deinen inneren Gefühlen. Ich arbeite für etwas, das mir niemals gehören wird. Aber irgendwie gibt es dir einen tiefen Frieden. Frieden in dem Sinne, dass du nichts zu verlieren hast«. Auroville finanziert sich weitgehend durch Unternehmen wie Auromode. Doch das reicht nicht. Subventionen von der EU, der Unesco sowie der indischen Regierung halten die Utopie am Leben. Doch warum finanziert Indien ausgerechnet dieses Projekt?
Esther Patel weiß: »Es war ein ungewöhnliches Experiment. Aber die Parlamentarier wussten, dass diese Vision es wert war, ausprobiert zu werden, denn es ging um die Zukunft des Menschen. Also haben sie es durchgezogen. Wissen Sie, es gibt nicht viele Parlamente in der Welt, wo man in der Debatte das Wort «spirituell» benutzen kann oder das Wort «göttlich», und wo der Antrag trotzdem nahezu einstimmig bewilligt wird. Vielleicht ist das ein Grund, warum solch ein Experiment ausgerechnet in Indien angesiedelt wurde.« Auroville versteht sich als Modell, als ein kosmopolitisches Beispiel in einer globalisierten und vom Kulturkampf geprägten Welt.
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