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Die Sprache der Aufrichtigkeit
Der Versuch, eine intime Kommunikation in der Öffentlichkeit zu führen, bringt darüber hinaus Probleme der Sprache mit sich: Von einem vertraulichen Bekenntnis wird so erwartet, daß es dem «Glaubhaftigkeitscode» (Sennett) der Aufrichtigkeit entspreche. «Aufrichtigkeit» definiert der Literaturwissenschaftler Lionel Trilling (in seiner unter anderem von Sennett und Taylor vielzitierten Studie Sincerity and Authenticity) als «die Übereinstimmung zwischen Gefühl und Äußerung» . Ein Ideal also, das enorme Ansprüche an die Sprachkompetenz des
einzelnen stellt: Ihm wird (so Taylor) abverlangt, eine «Sprache des artikulierten Empfindens» zu entwickeln.
Durch eine «Subjektivierung der Form» muß die Sprache transparent gemacht werden, um die Besonderheit der eigenen Gefühle und Gedanken unverfälscht wiedergeben zu können. Die Folge ist ein Anrennen gegen die
Allgemeinheit der Sprache, ein ständiger Konflikt also zwischen der Absicht des Individuums, originäre Ausdrucksformen für sich zu finden, und der Konventionalität existierender sprachlicher Mittel.
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Jan Verwoert in: Eikon 26 (www.eikon.or.at/pdf_files/26_6-13.pdf)
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