Späte Wahrheit
Mit falschen Zahlen hat die Atomlobby Politik gemacht
Von Wolfgang Hoffmann
(aus: DIE ZEIT, Nr. 16/1999 )
Wenn die Energieversorger den Ausstieg aus der Kernenergie beklagen, den die Bundesregierung anstrebt, ist das ihr gutes Recht. Wenn sie nicht froh darüber sind, daß ihre zum Teil längst abgeschriebenen Atommeiler zu einem noch festzulegenden Zeitpunkt abgeschaltet werden, ist ihnen das auch nicht zu verübeln. Welche Branche verzichtet schon gern auf die Möglichkeit, selbst Geld zu drucken.
Zu verübeln ist den Energieversorgern allerdings, mit welch zweifelhafter Politik sie versucht haben, die neue Bundesregierung in die Knie zu zwingen. Als der frühere Finanzminister Oskar Lafontaine daranging, die Rückstellungen der Unternehmen für die Nuklearmüllentsorgung (immerhin 74 Milliarden Mark) teilweise zu besteuern, da drohte die Branche, die gerade erst begonnenen Konsensgespräche scheitern zu lassen. Eine zusätzliche Abgabenlast von 25 Milliarden Mark sei nicht zu verkraften, lautete die vehemente Klage, der weite Teile der Wirtschaft applaudierten.
Lafontaine, von den Unternehmern zum Buhmann der Nation abgestempelt, mußte sich sogar vorhalten lassen, er könne nicht rechnen, als er die Horrorzahlen der Nuklearbarone in Zweifel zog. Und jetzt? Wenige Tage vor dem neuen Gespräch mit dem Bundeskanzler hat die Branche ganz ungeniert zu erkennen gegeben, daß ihre Rechnung falsch war. Tatsächlich muß sie nach eigenem Eingeständnis in den nächsten zehn Jahren nur rund 13 Milliarden Mark an die Staatskasse abdrücken. Das ist ein Bruchteil jener vielen Milliarden, mit denen die Atomwirtschaft in der Vergangenheit vom Staat subventioniert wurde.
Nun sage niemand, die Großkonzerne der Energiewirtschaft könnten ihrerseits nicht richtig rechnen. Nein, als Speerspitze der gesamten Wirtschaft haben die Strombosse ihre Schreckenszahlen ganz gezielt in die Welt gesetzt, um damit Stimmung zu machen - in erster Linie gegen den Finanzminister, in zweiter gegen den neuen Bonner Kurs insgesamt.
Aber vielleicht hat dieser Fall am Ende doch noch seine guten Seiten. Wenn die Energiewirtschaft nämlich je wieder glaubwürdig sein will, dann muß sie sich bei den Konsensgesprächen konstruktiver zeigen als bisher. Tut sie das nicht, hat sie endgültig ihren Ruf verspielt, und zwar zu Recht. Die Bundesregierung darf sich nicht länger erpressen lassen. Und Gesetze werden nicht von der Wirtschaft gemacht, sondern vom demokratisch gewählten Parlament.
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