Sophokles vermutlich 442 v. Chr. erstmals aufgeführte Tragödie brachte ein wahrscheinlich zeitloses Thema auf die Bühne: Den Konflikt der Überzeugungen des Einzelnen mit den Regeln und Gesetzen der Gemeinschaft und des Staates. Antigone will ihren im Kampf gefallenen Bruder Polyneikes bestatten, gegen das Verbot einer ordnungsgemäßen Beerdigung durch Kreon, den Herrscher von Theben, gegen den Polyneikes zu Felde gezogen ist und in der Schlacht unterlag. Kreon will mit diesem Verbot Rache üben gegen Polyneikes, den er anders nicht bestrafen kann, und ein abschreckendes Beispiel für alle möglichen Feinde Thebens statuieren. Antigone widersetzt sich nicht nur aus Liebe zu ihrem Bruder diesem Urteil, sondern auch aus Überzeugung, das Recht, nämlich das Vorrecht der althergebrachten, gottgegebenen Gebräuche, Verstorbene zu bestatten, gegenüber den menschengeschaffenen und damit mangelhaften Gesetzen eines Herrschers oder Staates, auf ihrer Seite zu haben. So versucht sie, ihr Handeln gegenüber Kreon zu rechtfertigen, der nur dieses Argument überhaupt zu verstehen in der Lage wäre. Ihr eigentlicher innerer Antrieb ist jedoch nicht der Gehorsam gegenüber den Gesetzen der Götter, sondern ihr Gewissen und die Kraft ihres Herzens, ihrer eigenen inneren Stimme, mit der sie völlig allein ist und ohne Unterstützung durch die Götter, die über ihre Entscheidungen und ihr Handeln schweigen. Antigone geht für ihre Überzeugung in den Tod; Kreon, der als ihr Onkel mit Antigone verwandt ist, verzweifelt, weil er letztlich die Unrechtmäßigkeit seines Handelns und die Geringfügigkeit seines Herrschaftsstatus als König gegenüber der Überlegenheit des Gewissens und der Menschenwürde erkennt.
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