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Erzählerin schrieb am 4.9. 2001 um 19:56:48 Uhr über

Anhalter

Sie fuhr durch die sonnige Landschaft den Windungen der Straße folgend die Hügel hinauf und freute sich auf das Wochenende. Nein, eigentlich waren ihre Gefühle eher gemischt. Sie wußte nicht, was sie erwartete. Ein Arbeits-Seminar- Erholungswochenende mit mehreren Frauen, die sie alle nicht kannte, bis auf eine. Eine ihr fremde Umgebung, die sie allerdings schon jetzt während der Fahrt mit ihrem etwas rauhen Charme gefangennahm. Der Schwarzwald in all seiner Schönheit breitete sich vor ihr aus. Nichts zu sehen von Baumsterben und saurem Regen. Es kam ihr auch kaum in den Sinn, daran zu denken. Die grünen Wiesen und die weißen Tupfer dazwischen, wo der Schnee in diesen ersten Apriltagen noch nicht weggetaut war, die kleinen Bauernhäuser und Gasthöfe, die vereinzelt das Grün der Wiesen mit ihrem Rot und Braun unterbrachen, in der Entfernung gut sichtbar der Feldberg mit seiner noch unzerstörten weißen Kappe.

Sie blickte angestrengt den Straßenrand entlang, um die Abzweigung nicht zu verpassen. Die Wegbeschreibung, die neben ihr auf dem Sitz lag, hatte sie heute schon einmal in die Irre geführt. Jetzt sollte das letzte Stück der Strecke über einen Feldweg führen, was immer das bedeuten mochte. Es war schwierig, auf diesen Dorfstraßen überhaupt einen Unterschied zu erkennen. An einem Anliegerschild vorbei rechtsda war ja schon das Hinweisschild zur Karlshütte! Die Wegbeschreibung war doch besser, als sie erwartet hatte. Ihr Wagen holperte über den unebenen Weg, immer darauf hinweisend, daß er als Sportcoupé für solche Strecken nicht gebaut war. Fast verfehlte sie die letzte Richtungsänderung, weil ihre Gedanken schon wieder abgedriftet waren. Der Weg führte steil nach unten auf ein Haus zu, das anscheinend die Karlshütte sein mußte. Sie hatte sich unter dem Begriff Hütte etwas anderes vorgestellt. Dies sah aus wie ein typisches im Schwarzwaldstil gebautes Haus, dunkles Holz überall und eher geräumig. Aber jetzt erinnerte sie sich auch, daß an der ersten Abzweigung Jugendheim Karlshütte gestanden hatte, eine Jugendherberge also. Viele der Frauen hatten Kinder, soviel sie gehört hatte, und die Veranstalterinnen gehörten zum Arbeitslosentreff Freiburg, das paßte. Deshalb war das Wochenende auch so billig.

Sie sah eine Gestalt den Weg herauf ihr entgegenkommen. Zuerst hielt sie sie für einen Mann, beim Näherkommen erkannte sie, daß es Maria war, die einzige der Frauen, die sie kannte. Sie kurbelte das Fenster herunter und begrüßte sie. »Na, das ist ja praktisch, daß wir uns gleich hier treffen

»Ja, finde ich auchMaria freute sich offensichtlich. »Ich wollte gerade einen kleinen Spaziergang machen. Wir treffen uns erst um halb neun mit den anderen Frauen aus der Gruppe. Dann sind die Kinder hoffentlich im BettEs war jetzt etwa halb acht, also noch eine gute Stunde Zeit.

»Okay. Wenn du Lust hast, begleite ich dich. Ich bin jetzt die ganze Zeit gefahren. Ich könnte ein bißchen Bewegung gebrauchen. Aber ich muß erst das Auto abstellen

Maria nickte. »Dann fahre ich gerade nochmal mit dir runter und wir gehen zusammen losSie ging um den Wagen herum und stieg ein, sobald Maggy die Türverriegelung geöffnet hatte..

Nachdem der Wagen praktisch im Wald am Weg zum Haus geparkt war, gingen sie los. Im Wagen hatte sie fast nur die Sonne gespürt. Der Wind fuhr mit einer kalten Schärfe an ihre Ohren. Sie schlug den Kragen ihrer Lederjacke hoch. Nachdem sie die Gegend ein wenig erkundet hatten, kehrten sie ziemlich genau eine Stunde später zum Haus zurück. Maria half ihr, die Reisetasche hineinzutragen, damit ihre Bandscheibe geschont würde, die vor kurzem erst operiert worden war. Die Haustür war schon abgeschlossen, und sie mußten eine der Frauen herunterrufen, um ihnen aufzuschließen. Maria stellte die andere Frau vor. »Das ist SylviaSylvia streckte ihr die Hand entgegen. »Und du bist die Maggy«, sagte sie, bevor sie sich selbst vorstellen konnte. Da alle anderen schon vor ihr angekommen waren und wußten, daß sie noch nachkommen würde, war das nicht verwunderlich. Maggy wußte, daß Sylvia ein Mitglied der Gruppe »Lesben über 30« war. Maria hatte es ihr erzählt, denn sie selbst war schon nicht mehr in der Gruppe gewesen, als Sylvia dazukam. Die Begegnung mit Sylvia erinnerte sie an die Lesbengruppe und an die Gründe, warum sie sie verlassen hatte. Sofort kam ihr wieder der Name Nicole in den Kopf. Sie war der Grund gewesen, sie und Hannelore, respektive der Augenblick, in dem Maggy begriffen hatte, daß Hannelore jetzt ihren, Maggys, Platz bei Nicole einnahm. Das war im letzten Sommer gewesen, Mitte August, und seither hatte sie die Gruppe gemieden. Die Erinnerung an Nicole hatte sie noch lange verfolgt und viele Tränen und Selbstvorwürfe gekostet, bis sie endgültig begriffen hatte, daß sie an der Situation nichts ändern konnte und auch vorher wohl nicht hatte ändern können. Nicole änderte sich wohl kaum, und bis jetzt hatte sie es nie sehr lange mit einer Frau ausgehalten. Obwohl Maggy sich selbst natürlichwie wahrscheinlich alle anderen Frauen vor ihrfür die Ausnahme gehalten hatte. Und Hannelore hielt sich jetzt auch dafür. Sie plante, mit Nicole zusammenzuziehen, gemeinsam ein Haus zu mieten, sogar eine Firma zu gründen, wie Maria Maggy erzählt hatte. Eine etwas ungewöhnliche Entwicklung, aber Maggy hatte keine Zweifel, daß auch diese früher oder später ihr Ende finden würde. Sie wußte allerdings nicht, ob dabei nicht auch Rachegedanken mitspielten, die immer wieder hochkamen, wenn sie an Hannelore und Nicole dachte. Auf jeden Fall merkte sie wieder einmal, daß immer noch Reste von Anteilnahme und Hoffnung vorhanden waren, so oft sie sich auch das Gegenteil einzureden versuchte.

Sylvia machte einen netten Eindruck. Sie würde sich später mit ihr beschäftigen. Zuerst einmal zeigte Maria ihr das Viererzimmer, in dem sie, Maria, Sylvia und eine vierte Frau schlafen würden. Zwei Etagenbetten und große Einbauschränke in den Wänden machten das hauptsächliche Inventar aus. Typisch Jugendherberge eben. Sie begann mit Marias Hilfe, ihr Bett zu beziehen. Eine andere Frau kam herein, stellte sich als Annette vor und bat sie, in den Versammlungsraum zu kommen, um das Wochenendprogramm zu beginnen. Sie war eine der Veranstalterinnen.

Sie gingen in den etwas größeren Raum hinüber, in dem die meisten Frauen schon auf dem Boden saßen. In der Mitte brannten Kerzen auf einem Teller. Maggy fragte sich beim Hereinkommen, ob sie sich den anderen, die sich ja schon kennen mußten, vorstellen sollte. Ebenso wie Sylvia würden alle wissen, wer sie war. Sie entschloß sich dann aber doch dazu, um ihrer alten Angst vor fremden Menschen nicht allzuviel Raum zu geben. Sie zeigte auf sich selbst und sagte, »Ich bin die Maggy.« Es erfolgte nur eine geringfügige Reaktion, die ihre Vermutung, daß niemand Zweifel an der Identität ihrer Person hegte, bestätigte. Sie setzte sich zu den anderen in den Kreis.

Der Abend begann ihren Erwartungen entsprechend. Nach einer kurzen Einführung durch die Veranstaltungsleiterin Annette stellten sich alle Frauen ein wenig vor und versuchten zu formulieren, was sie am Seminar interessierte. Danach schlug Annette zur Auflockerung ein Spiel vor. Ein aus Tüchern zusammengebundener Ball wurde herumgeworfen. Die Frau, die warf, dürfe der Frau, die den Ball fangen sollte, eine Frage stellen. Plötzlich warf eine der Frauen Maggy den Ball zu. »Fühlst du dich sexy?« Maggy war etwas verblüfft, weil diese Frage sich sehr von den anderen unterschied, die vorher gestellt worden waren. Sie hatte allerdings keinen Zweifel an der Antwort. »Jaa . . .«, sagte sie gedehnt. Die Antwort schwang etwas im Raum nach. »Eigentlich schon«, hatte sie noch hinzufügen wollen. In Anbetracht dessen, daß sie sich vorgenommen hatte, nicht immer alles einzuschränken oder zu rechtfertigen, was sie sagte oder tat, unterließ sie es aber. Sie mußte grinsen. Voriges Jahr wäre ihre Antwort sicher ganz anders ausgefallen. Aber die Erfahrungen, die sie zwischenzeitlich mit mehreren Frauen gemacht hatte, hatten ihre Einstellung zu sich selbst und ihrem Körper fast grundlegend geändert. Obwohl sie es selbst immer noch nicht so recht glauben konnte, war ihre erotische Ausstrahlung offensichtlich unbestreitbar. Und jetzt schon wieder . . . Sie blickte kurz in Richtung der Frau, die ihr den Ball zugeworfen hatte. Maria hatte erzählt, daß eventuell noch eine vierte Lesbe außer Sylvia, Maria und ihr bei diesem Wochenende dabeisein würde und Maggy hatte sich am Anfang umgeguckt, ob sie diese vierte entdecken könnte. Dabei war ihr eine Frau am anderen Ende des Raumes aufgefallen, von der sie annahm, daß sie es eventuell sein könnte. Allerdings war sie sich nicht sicher und das war bei ihr selten. Im Normalfall wußte sie immer sofort Bescheid. Die Frau, die ihr den Ball zugeworfen hatte, war jedenfalls nicht lesbisch, das hätte sie beschwören können. Sie sah so hetero aus wie nur irgendwas. Aber sie entsprach in einigen Punkten dem Bild, das sie oft als das ihrer Idealfrau bezeichnete. Und die Heteroausstrahlung, die eindeutig weibliche Gestik und Mimik gehörten dazu. Maggy fragte sich, warum diese Frau, Jeannette hieß sie wohl, wie sie sich dunkel von der Vorstellung her erinnerte, ihr diese Frage gestellt hatte. Das konnte ja spannend werden!

Das Spiel ging weiter und ein nächstes folgte. Ein Partnerinnenspiel, bei dem die eine die andere durch den Raum führte, während ihr die Augen verbunden waren. Maggy führte Maria und umgekehrt. Danach sollte ein Spiel folgen, das die Frauen sich nun endgültig näherkommen lassen sollte. Annette forderte die Frauen auf, die Partnerinnen zu wechseln, wozu aber keine so recht Lust zu haben schien. Keine ausser Jeannette. Sie winkte und fragte »Sollen wir mal zusammen machen?« Maggy bekam zuerst nicht mit, dass sie gemeint war, da sie in die andere Richtung geschaut hatte. Als sie es mitbekam, konnte sie es nicht recht glauben und fragte: »Meinst du michJeannette nickte freudig. Maggy dachte sich ihr Teil und stimmte zu. Das Spiel bestand darin, sich Rücken an Rücken zu setzen und mit untergehakten Armen miteinander zu kämpfen oder den Bewegungen der anderen zu folgen. Maggy wurde sehr warm bei all diesen Bewegungen. Jeannette versuchte sie wegzudrücken, lud sie sich auf den Rücken und versuchte alles Mögliche, den Kontakt möglichst eng zu gestalten.



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