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Geri Attri schrieb am 12.3. 2010 um 21:55:03 Uhr über

Abmahnindustrie

Die Abmahn-Industrie

Wie mit dem Missbrauch des Urheberrechts Kasse gemacht wird

Um das Geschäft mit urheberrechtlichen Massenabmahnungen haben sich ausgefeilte Erlösmodelle entwickelt. Die Abmahner kassieren bei kleinen Leuten vergleichsweise geringfügige Rechtsverstöße ab, die Wurzeln des Übels lassen sie unangetastet. Begünstigt werden diese Aus wüchse vom deutschen Gesetzgeber und den Gerichten.

Bei den Beratern der Verbraucherzentralen ist derzeit Flexibilität gefragt: Haben sie sich ehemals vor allem mit falschen Handwerker- oder Mietverträgen herumgeschlagen, erfordern aktuelle Anfragen eher Fähigkeiten im IT- und Urheberrecht. Mehr als die Hälfte der Zeit gehe dafür drauf, wegen Abmahnungen zu angeblichen Urheberrechtsverstößen im Internet zu beraten, berichteten uns genervte Mitarbeiter mehrerer Landeszentralen übereinstimmend.


Vergrößern Mal soll eine Rentnerin, die keinen Computer zuhause hat, den Song eines mäßig bekannten Rappers in eine Tauschbörse eingestellt haben. Dann wieder soll die vor ein paar Jahren benutzte Vorlage eines Web-Editors urheberrechtlich geschützte Bilder enthalten, für die jetzt saftige Nachlizenzierungsgebühren gefordert werden. Mehr und mehr erhärtet sich der Verdacht, dass es bei den Forderungen bisweilen nicht mit rechten Dingen zugeht.

Dass es das gute Recht der Urheber ist, ihre Produkte zu schützen, steht auch für Kritiker der Gesetzeslage außer Frage. Besonders betrifft das professionelle Content-Vermarkter, also Musiker, Filmemacher oder Textautoren. Doch die spezielle rech t liche Konstellation in Deutschland in Verbindung mit Recherchemöglichkeiten im Internet hat dazu geführt, dass die Rechtsverfolgung hierzulande obskure Blüten treibt.

Im Blickpunkt steht dabei einmal mehr das umstrittene Instrument der kostenpflichtigen Abmahnung. Es macht anders als in vielen Nachbarstaaten außergerichtliche Unterlassungsforderungen für Rechtsanwälte zum lukrativen Geschäft. Längst gilt bei den Rechteinhabern und ihren Abmahnanwälten daher die Parole „Turn piracy into profit!“. Das heißt: Für Rechteinhaber kann die Verfolgung des illegalen Vertriebs ihrer Werke lukrativer sein als der reguläre Verkauf.
Verwertungsketten

Rund um die Urheberrechtsabmahnungen sind organisierte Verwertungsketten entstanden. Von industriellen Ausmaßen zu sprechen, scheint nicht mehr übertrieben: Zwischen Rechteinhaber und Rechtsanwälte haben sich Firmen geschaltet, die die Recherche und Beweisführung übernehmen. Bekannte Namen sind etwa Logistep, Digi-Protect, Digi-Rights-Solution oder TextGuard.

Die meisten von ihnen bieten den Urheberrechtsinhabern Rundum-sorglos-Pakete an, deren konkrete Vertragsausgestaltung strenger Geheimhaltung unterliegt. Das Angebot lautet: Nennen Sie uns Ihre Werke, wir übernehmen die Verfolgung im Internet und schütten Schadensersatz oder Lizenzgebühren an Sie aus.

Im Fokus stehen zurzeit Musik-Uploads in den Dateitausch-Netzen eDonkey und Bit-Torrent. Das ist kein Wunder, denn hier lässt sich die Automatisierung ohne viel Aufwand weit treiben: Ein umgestalteter Tauschbörsen-Client wird mit Datei-Hashes der gesuchten Musik-Datei gefüttert, zeichnet Downloads von Dateien auf und protokolliert die Daten der Peers in Verbindung mit einem Zeitstempel. Auf dem Silbertablett liegen den Abmahnkanzleien nun mit minimalem Rechercheaufwand beispielsweise IPAdresse, GUID und Client-Version des Uploaders vor.

Den in Massen abmahnenden Kanzleien spielt in die Hände, dass es ihnen der Gesetzgeber im vergangenen Jahr erleichtert hat, an persönliche Daten zu den vermeintlich anonymen IP-Adressen zu gelangen. Mussten sie zuvor noch den vergleichsweise komplizierten Weg der Strafanzeige und Akteneinsicht beschreiten, können sie seit August 2008 im Sammelverfahren Beschlüsse zum zivilrechtlichen Auskunftsanspruch gegenüber Providern erwirken.

Wir beobachten, dass sich die Abmahnkanzleien auf bestimmte Provider eingeschossen haben, Kunden anderer Provider aber kaum belangen. Der Grund dafür liegt in den unterschiedlichen Speicherfristen. Die Telekom als größter Privatkunden-Provider etwa speichert für sich und Resale-Partner wie 1&1 sieben Tage lang zu Abrechnungszwecken, wann wem welche IP-Adresse zugewiesen wurde. Der Regionalprovider NetCologne speichert immerhin für vier Tage.


Zwei Anträge auf zivil rechtliche Provider -Auskunft am Landgericht Köln. Abgefragt wurden 13 000 IP-Adressen. Vergrößern Die Folge: Das Landgericht Köln als zuständige Instanz für Auskunftsersuchen an diese beiden Zugangsanbieter wird mit Anträgen überschüttet. Dirk Eßer, Vorsitzender Richter am Gericht, bestätigte ct, dass die Flut der Beschlussanträge permanent steigt. Bis Ende 2008 habe man 82 entgegengenommen, allein im laufenden Jahr 2009 bis einschließlich September seien 2824 Anträge eingegangen. Die Anzahl der von einem Antrag umfassten IP-Adressen schwankevon 15 bis zu 3500. Insgesamt dürfte die Anzahl der betroffenen IP-Adressen mittlerweile in die Millionen gehen.“ Fast alle Anträge wurden durchgewunken.

In der Praxis handelt es sich beim Antrag auf zivilrechtliche Providerauskunft um ein zweistufiges Verfahren. Weil nicht viel Zeit bleibt, muss das Gericht sofort nach Eingang der IP-Adressen und rudimentärer Prüfung des Verdachts ein „Quick Freeze“ beim Provider anordnen: Ab jetzt darf dieser die Daten auch nach Ablauf der datenschutzrechtlich gebotenen maximalen Speicherfrist nicht löschen. Die für die Vorratsdatenspeicherung getrennt gelagerten Logs dürfen für eine zivilrechtliche Auskunft schließlich nicht genutzt werden. In einem zweiten Schritt prüft das Gericht den Antrag juristisch genauer und erlässt im Erfolgsfall den Auskunftsbeschluss.

Im Oktober 2009 wurde ein Fall bekannt, bei dem das Landgericht Köln mit einem Beschluss die Auskunft zu mehr als 11 000 IP-Adressen von Telekom-Kunden wegen des Verdachts illegaler Tauschbörsen-Uploads eines Songs genehmigt hat. Verteilungsschlüssel 11 000 Abmahnungen könnten in diesem Fall also auf den Weg gegangen sein. Die meisten Massenabmahnkanzleien fordern neben einer Unterlassungserklärung die Zahlung eines Pauschalbetrags zwischen 400 und 600 Euro, der sich angeblich aus Rechtverfolgungskosten und Schadensersatz zusammensetzt. Käme also jeder der 11 000 Abgemahnten der Zahlungsaufforderung nach, ergäbe sich bei 500 Euro pro Abmahnung ein Umsatz von 5,5 Millionen Euro.

Konkrete Angaben zum Verteilungsschlüssel in der Verwertungskette der Abmahnindustrie sind nicht in Erfahrung zu bringen. Ein kürzlich im Web aufgetauchtes, allem Anschein nach echtes Dokument enthüllt immerhin einige Anhaltspunkte. Das Unternehmen DigiRights Solution (DRS) nutzte die Präsentation offenbar, um bei Rechteinhabern für seinen Dienst der Tauschbörsenermittlung zu werben. Der Präsentation zufolge zahlen erfahrungsgemäß 25 Prozent der Abgemahnten sofort die erhobene Pauschale von 450 Euro, von dieser Summe erhält der Rechteinhaber 90 Euro. 360 Euro behalte DRS ein, unter anderem für Anwaltshonorare, Abmahnschreiben, Massenkorrespondenz mit Rechtsverletzern und Zahlungsklagen.

Es folgt eine frappierende Beispielrechnung: Ausgehend von 60 Cent Nettogewinn an einem legalen Download, etwa bei Musicload oder iTunes, erläutert DRS den Musikschaffenden, um wieviel lukrativer es sei, wenn der Song illegal in der Tauschbörse steht.

Wörtlich heißt es im Dokument: „Der Ertrag bei erfassten und bezahlten illegalen Downloads ist das 150-fache! Das bedeutet: Wenn 1250 Rechtsverletzer erfasst werden, die zahlen, müssten zur Erwirtschaftung des entsprechenden Ertrags 150 000 Downloads legal verkauft werden.“

Beweislastumkehr

Der bisherigen Rechtsprechung zufolge machen sich die wenigsten Gerichte die Mühe, zu hinterfragen, wie die dem Verdacht zugrunde liegenden Daten erhoben wurden. „Beweissicher“ sei die Erhebung, heißt es in den Abmahnungen dazu meist. Das soll suggerieren: Widerstand ist zwecklos.

Es ist davon auszugehen, dass in der überwiegenden Zahl der Fälle tatsächlich ein Upload des monierten Films oder Musikstücks in einer Tauschbörse erfolgte.

Oft schwören Abgemahnte aber auf alles, was ihnen heilig ist, nie einen Tauschbörsen-Client benutzt zu haben. Die Rechtsanwälte der Rechteinhaber winken dann regelmäßig ab: Alles Ausreden! Dabei ist es in der jüngeren Vergangenheit bei der Übertragung von IP-Adressen in der Rechteverfolger-Kette zu Zahlendrehern gekommen. ct sind auch aktuelle Fälle bekannt, die Zweifel aufwerfen.

Ein Abgemahnter, der sich an die Redaktion wandte, war in der angeblichen Tatzeit drei Monate lang geschäftlich in den USA, wie er uns sogar anhand von Bonusmeilenabrechnungen belegte. Zugang zur Wohnung hatte nach seinen Angaben niemand, und der WLAN-Router sei via WPA2 abgesichert. Er war nicht der Täter, versicherte er glaubhaftund verzweifelt.

In einem anderen Fall bat ein Abgemahnter seinen Provider O2 um Bestätigung, dass er zum angeblichen Tatzeitpunkt nicht die genannte IP-Adresse zugewiesen bekommen hatte. O2 antwortete: „Eine Weitergabe der Nutzerdaten an Dritte erfolgt nicht ohne richterlichen Beschluss. Laut unseren Informationen liegt uns eine solche Anfrage nicht vor.“

Zurzeit gilt generell: Ist die Abmahnung erst einmal ins Haus geflattert, hat sich die Beweislast bereits umgekehrt. Die Gerichte schenken eher der angeblich beweissicheren, unabhängigen Datenerhebung Glauben als den Beteuerungen der Abgemahnten. Wer in dieser Falle steckt, muss Gegenbeweise liefern, und selbst eine Router-Logdatei oder der Beleg der Abwesenheit genügen als Nachweis kaum. Hinzu kommt, dass die angeblichen Verstöße oft bereits mehrere Monate zurückliegen. Wer sich wehrt, trägt folglich ein hohes Kostenrisiko, und genau auf diesen Abschreckungseffekt können die Abmahner getrost setzen.

Gebührenfalle

Im Abmahn-Business ist mittlerweile vieles mit Rahmenverträgen geregelt. Die Protagonisten schieben Verwertungsrechte und Gelder munter hin und her, nur beobachten lassen wollen sie sich dabei nicht. Fragen Journalisten nach, treffen sie auf ein Kartell des Schweigens.

Für die Anwälte lohnt sich das Geschäft nur, wenn sie jenseits der Schadensersatz- oder Lizenzforderungen eigene Gebühren geltend machen können. Dafür sind ihnen aber qua Gesetz enge Grenzen gesetzt, an die sich die überwiegende Anzahl der Kanzleien auch hält.

Verlangt ein Anwalt finanzielle Erstattung der Abmahnung gemäß der Rechtsanwaltsgebührenverordnung (RVG), muss dieser Forderung ein Anspruch zugrunde liegen. Dieser ergibt sich aus den Kosten, die dem Mandanten durch die Einschaltung des Anwalts entstanden sind. Kurz: Verlangt ein Anwalt diese Gebühren, muss er sie seinem Mandanten auch in Rechnung stellen können.

Genau hier sehen viele Experten den groben Rechtsbruch im System der Massenabmahner: Über Verträge sei oft geregelt, dass die Rechte inhaber nichts für den Service der Rechtsverfolgung bezahlen und dafür eben nur einen Teil des Schadensersatzes ausbezahlt bekommen.

Wenn dem so sein sollte, stellt sich die Frage, für wen der Anwalt eigentlich die in den Abmahnungen geforderten Gebühren einfordert, wenn nicht für seine Mandanten. Die Vermutung lautet: Für niemanden außer für sich selbst, und das wäre rechtswidrig.

Nicht nur, dass ihn andere Anwälte wettbewerbsrechtlich des Vorsprungs durch Rechtsbruch bezichtigen könnten. Ihm würde auch strafrechtlich Ungemach drohen, denn wider besseres Wissen unberechtigt Geld einzufordern und einzustecken, ist versuchter beziehungsweise vollendeter Betrug im gewerblichen Ausmaß. Allein: Es fehlen die Beweise, das Kartell des Schweigens hält noch.

Kurze Wege


Kurze Wege: Wer zu Evidenzia möchte, kommt an der Kanzlei Nümann + Lang nicht vorbei. Vergrößern ct hat sich einige Protagonisten der Abmahn-Szene näher angesehen und dabei wiederholt festgestellt, wie klein die Welt ist und wie kurz die Wege sind. Da ist zum Beispiel Die Karlsruher Rechtsanwaltskanzlei Nümann + Lang. Sie mahnt unter anderem Tauschbörsen-Uploads für weniger bekannte Musiker ab. Aufgefallen ist sie uns aber, weil sie seit Mai 2009 mit vergleichsweise hohen Schadensersatzforderungen die illegale Weitergabe der DJ-Software BPM Studio Professional in P2P-Netzen verfolgt hat. Mandatiert wurde sie damals nicht vom Hersteller Alcatech, sondern von einer ominösen Firma namens Lernhaus Österreich aus Salzburg. Diese habe die Berechtigung erworben, BPM Studio in Deutschland im Internet zu vertreiben, hieß es.

Eine Nachfrage von ct beim Dresdener Unternehmen Alcatech, warum man die deutschen Vertriebsrechte fürs Internet nach Österreich abgab, blieb unbeantwortet. Inzwischen mahnt Nümann für die deutsche Lernhaus GmbH ab, deren Hauptsitz laut Handelsregister zunächst in Hamburg war. Bereits im Mai 2008 ist er nach Karlsruhe verlegt wordenin dasselbe Bürogebäude, in dem die Kanzlei Nümann + Lang residiert.

Die laut Abmahnungen „ohne Ausnahme korrekten und gerichtsverwertbaren Ergebnissebei der Täterrecherche in Tauschbörsen werden praktisch erweise ebenfalls unter demselben Dach produziert: Die Evidenzia GmbH & Co KG ist laut Selbstdarstellung im Webein privates und unabhängiges Unternehmen, welches sich auf Datenerhebung in populären Peer-2-Peer Netzwerken spezialisiert hat.“ Auf dem Klingelschild des unabhängigen Unternehmens steht lediglich: „Bitte bei Nümann + Lang klingeln.“ Wir fragten sowohl bei Anwalt Nümann als auch bei Evidenzia nach dem laut Abmahnungen vorhandenen Gutachten, das die Beweissicherheit der Evidenzia-Datenerhebung belegen soll. Beide Partner lehnten in bemerkenswerter zeitlicher Koinzidenz die Einsicht in das Gutachten ab.

Eine andere Abmahnwelle, die nur oberflächlich betrachtet nichts mit dem Karlsruher Klüngel zu tun hat, nimmt Website-Betreiber und Blogger ins Visier: Die Software TextGuard durchforstet das Web im Auftrag von Urhebern nach vorgegebenen Textstellen und meldet Plagiate. Gegenüber professionellen Autoren wirbt man: „Zur weiteren Bearbeitung leiten wir die Treffer an unsere Anwälte weiter. Diese prüfen die Ergebnisse und fordern, wenn eine Urheberrechtsverletzung vorliegt, von dem Verletzer einen entsprechenden Schadensersatz.“ Der Schadensersatz werde dann zwischen TextGuard und Autoren aufgeteilt.

Prima, dachte sich wohl auch die freie Journalistin Eva Schweitzer und ließ TextGuard auf Plagiatssuche gehen. Als ihre Abmahnung eines Bloggers für negative Schlagzeilen sorgte, weil dieser unter anderem 1200 Euro Schadensersatz wegen der Übernahme einer Textpassage inklusive Quellenangabe und Link zum Ursprungstext bezahlen sollte, platzte Schweitzer der Kragensie bloggte.

Es stellte sich heraus, dass ihr der von ihr abgemahnte Blogger nicht einmal namentlich bekannt war. Freimütig bekannte sie gegenüber einem Journalisten der Süddeutschen Zeitung überdies zum unterzeichneten TextGuard-Vertrag: „Mir entstehen keine Kosten, das trägt sich durch die Kosten, die den Abgemahnten entstehen. Ich bezahle nicht mal was für den Service von TextGuard. Die machen das, und so finanziert sich das.“

Schweitzer trägt ihren Angaben zufolge also kein Kostenrisiko, zahlt auch nicht für die Mandatierung des Rechtsanwalts, in diesem Fall Andreas Will aus Hamburg. Dennoch beweist ein Blick in dessen Abmahnungen, dass er die vollen Gebühren nach RVG in Rechnung stellt.

Wir fragten Rechtsanwalt Will, warum er in den TextGuard-Abmahnungen behauptet, dass durch seine „Mandatierung Rechtsanwalts- und Recherchekosten entstandenseien und wessen Geld er da de facto einfordert. Die Antwort war kurz: „Ihre Vermutungen und Interpretationen sind unzutreffend. Ihre rechtlichen Wertungen entbehren jeglicher Grundlage.“ Eine Richtigstellung aus seiner Sicht blieb er allerdings schuldig.

Es bleibt in diesem Zusammenhang zu erwähnen, dass TextGuard ein „Geschäftsbereich“ der Lernhaus GmbH ist. TextGuard-Geschäftsführer Claus-Michael Gerigk sitzt zwar in Hamburg, Hauptsitz ist allerdings jenes Karlsruher Bürohaus, in dem die Kanzlei Nümann + Lang arbeitet.

Unachtsamkeiten

Ein alter Hase im Geschäft mit Massenabmahnungen von Tauschbörsen-Nutzern ist Rechtsanwalt Dr. Udo Kornmeier aus Frankfurt. In Interviews gibt sich der ehemalige Geschäftsführer der Sony Music Publishing GmbH idealistisch und echauffiert sich gerne über mangelndes Unrechtsbewusstsein in der Bevölkerung: Diebstahl geistigen Eigentums sei Diebstahl und bleibe Diebstahl, sagt er dann zum Beispiel.

Kornmeier hat sein Abmahn-Business zusammen mit dem Unternehmen DigiProtect besonders clever organisiert. Seit geraumer Zeit mahnt er nicht mehr für die Rechteinhaber ab. Vielmehr erwirbt DigiProtect mit sogenannten „Rahmeneckwertevereinbarungen“ das Recht, die „Tonaufnahmen über dezentrale Computernetzwerke auszuwerten.“ In einer solchen Vereinbarung, die ct vorliegt, ist die Rede von einer „gesonderten Zustimmungder Urheberrechtsinhaber, bevor DigiProtect Songs in P2P-Netzwerke einstellt. Offensichtlich ist es also ausdrücklich vorgesehen, Lockvogel-Dateien einsickern zu lassen.

Hat DigiProtect Tauschbörsen-Uploader ermittelt, mandatiert das Unternehmen Kornmeier. Da Kornmeier in den Abmahnungen zunächst eine Gebührenforderung nach RVG androht und bei Nichtzahlung des Pauschal-Schadensersatzes auch einklagt, sollte man ausgehend von der rechtlichen Situation annehmen, dass DigiProtect in jedem einzelnen Fall entsprechende Kosten entstehen.

Ein jüngst aufgetauchtes Fax, das allem Anschein nach Anwalt Kornmeier im März 2008 an die britische Kanzlei Davenport Lyons gesendet hatte, offenbart jedoch: Die ganze damals in Planung befindliche Rahmenvereinbarung mit DigiProtect ist einno-cost“-Projekt für die Rechteinhaber. Im Fax steht ein entlarvender Satz: „Das Projekt ist von DigiProtect alsJoint Venture“ geplant, bei dem keine Vertragspartei die andere mit irgendwelchen Kosten belastet.“

Stimmt diese Aussage, dann entstehen DigiProtect bei den Abmahnungen keine Mandatierungskosten, folglich dürfte Kornmeier gegenüber den Abgemahnten keine RVG-Gebühren in Rechnung stellen. Auch auf mehrmalige Nachfrage, ob das Fax authentisch ist, antwortete uns Dr. Udo Kornmeier nicht.

Stattdessen erhielten wir als Antwort eine Pressemitteilung von DigiProtect „zum Davenport-Vorgang“. Interessant war allenfalls die Aussage: „Die von uns mandatierten Anwaltskanzleien liquidieren ihre Kosten und ihr Honorar in jedem Fall in einwandfreier Form gemäß der jeweils geltenden gesetzlichen Grundlagen.“ Einen Nachweis blieb DigiProtect freilich schuldig, obwohl er doch leicht zu erbringen wäre.

Fazit

Die geschäftlichen Aktivitäten der Abmahnindustrie liegen nach wie vor zum großen Teil im Dunkeln. Nur gelegentlich werden Zusammenhänge sichtbar, die den hohen Organisationsgrad und den Ideenreichtum der Beteiligten offenbaren.

Der Gesetzgeber beförderte dieses Treiben in jüngster Vergangenheit massiv, statt ihm entgegenzuwirken: Schon vor der Einführung des zivilrechtlichen Auskunftsanspruchs bei Urheberrechtsverstößen (Paragraf 101 UrhG) wurde scharf kritisiert, dass die Schranke des „gewerblichem Ausmaßes“ keine ist. Viele Landgerichte sehen dieses Ausmaß bereits erreicht, wenn nur ein Song in BitTorrent zum Upload angeboten wird.

Die ebenfalls eingeführte Deckelung der Abmahnkosten auf 100 Euro (Paragraf 97a UrhG) gilt nur unter sehr eng gesteckten Voraussetzungen, nämlich für einfach gelagerte Fälle privaten Handelns. Die Folge: Die Deckelung findet kaum Anwendung und stellt sich damit in ihrer jetzigen Form als ungeeignete Maßnahme gegen die Beutelschneiderei der Abmahnanwälte heraus.

Es ist höchste Zeit, dass der Gesetzgeber die Situation neu bewertet und dem Treiben Einhalt gebietet. ct bat das zuständige Bundesjustizministerium um eine Stellungnahme der neuen Ministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Dies sei derzeit nicht möglich, beschied man uns. Die Ministerin sei noch nicht lange im Amt und müsse sich erst in die Thematik einarbeiten.

Eigentlich sollten die Standesvertretungen, also die Rechtsanwaltskammern, ein vitales Interesse daran haben, schwarze Schafe unter den Kollegen aktiv zu identifizieren und zu sanktionieren. Doch nach unserer Kenntnis verfahren die Kammern stets nach dem Motto: „Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.“

Dabei diskreditieren derzeit die Urheberrechtsabmahner ihren Berufsstand nachhaltig. Bei den Bürgern muss zwangsläufig der Eindruck entstehen, machtlos skrupellosen Geschäftemachern gegenüberzustehen. Wie aber soll in diesem Klima ein Unrechtsbewusstsein für die illegale Weitergabe von Werken entstehen? (Holger Bleich)


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