Es spricht ein Priap, der eben erst hergestellt und gerade im Garten aufgestellt worden ist. Der Künstler hatte ihm das Glied zufällig weniger als fußlang gestaltet. Mädchen treten an ihn heran und werfen ihm vor, sein Glied sei nicht genügend lang und dick und stehe ihm nicht recht; sie greifen mit den Händen zu, als ob sie es besser zum Stehen bringen wollten. Priap klagt darüber, daß sein Maß die Mädchen enttäuscht und sie nicht zufrieden sind mit seinem Glied, das doch in seiner – jetzt dem Priap gar nicht angemessenen – Größe die Glieder aller Menschen überragen sollte. Dann, um die geringere Gestalt seiner Rute zu entschuldigen, führt er das Beispiel des Tydeus an, der, wie es heißt, körperlich zwar klein, jedoch überaus kriegerischen Mutes war. Sodann äußert er die Vermutung, seine Neuheit und auch die Scham hätten ihm zum Schaden gereicht, so daß seine Rute weniger als gebührendermaßen in die Höhe stände. Die Scham müsse verdrängt werden, meint er; das geschieht absichtlich, so scheint es, dadurch, daß er mit unbedecktem Geschlecht unter freiem Himmel steht.
J. W. Goethe, Bemerkungen zur Sammlung 'Priapeia'
Münchner Ausgabe, 3.2; 572
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