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Russkij schrieb am 15.5. 2001 um 14:05:24 Uhr über

ß

Als ich in Russland begann in der Schule Deutsch zu lernen, wunderte ich mich, was denn der griechische Buchstabe beta im Deutschen zu suchen hat. Das gehört einfach nicht zum Lateinalphabet.

Noch schlimmer fand ich die Kurz- und Langvokale. Das kann ich immer noch nicht unterscheiden. (Finde ich auch blöd, man kann die Wörter nicht so langziehen, wie man will, wie es im Russisch möglich ist). Wenigstens beim Lesen kann ich sehen, dass vor einem Doppelkonsonanten ein kurzer Vokal steht. Aber solche Wörter wie Stoffetze und Stoffflagge, Fluß und Fuß irretierten mich sehr. Jetzt finde ich es besser.

Aber es gibt für mich auch die Nachteile der Reform. So zum Beispiel, bin ich aus dem Russischen gewohnt, dass alle Nebensätze in einem gemeinsamen Satz durch das Komma getrennt werden, egal ob die Nebensätze durch »und« oder »dass« verknüpft sind. Nach der Rechtsschreibreform ist das glaube ich nicht mehr so, so genau, weiß ich das aber nicht.

Was ich all denen sagen kann, die an die alte Rechtschreibreform halten, ist, dass im Russischen nach dem Jahre 1917 auch die Rechtschreibreform durchgeführt worden war. So wurden einige Buchstaben abgeschafft, die vielleicht vor Tausend Jahren eigene Aussprache hatte, später aber absolut keine Bedeutung hatten. Und so findet man diese Buchstaben heute auf keiner kyrillischen Tastatur wieder. Außerdem ist dem Buschstaben »hartes Zeichen« ungefähr das Gleiche passiert, was jetzt mit dem »ß« geschieht. Er wurde reduziert. Denn im Russischen musste man jedes Wort, das nicht auf ein Vokal oder den »weiches Zeichen« endete mit dem »harten Zeichen« beenden. Ziemlich sinnlos, denn wenn der Konsonante nich weich ist, es er automatisch hart. Und so wurde dieser Buschstabe reduziert, jetzt kommt es nur dort vor, wo im Deutschen »j« nach griechischen und lateinischen Präfixen vorkommt: ObJekt, SubJekt, InerJektion u.ä.

Wie ich eben gezeigt habe, waren das sehr radikale Veränderungen. Und so gab es auch Leute, die die neue Schreibweise nicht akzeptierten. Heute aber nach etwas mehr als 80 Jahren denkt niemand mehr daran sich für die alte Schreibweise stark zu machen.

Außerdem ist die Sprache keine Tonfigur, die man nach belieben formen kann. Die Sprache verändert sich, dabei meine ich gar nicht die vielen englischen Wörtern, die in Deutsch übernommen wurden, sondern die Entwicklung der Sprache selbst. Es kommen neue Wörter hinzu von außen, durch technischen Fortschritt, alte Wörter bekommen neue Bedeutung; die Umgangssprache hat schon längst das Hochdeutsch verdrängt.

Wenn man keine Rechtschreibreform machen würde, so würde Deutsch sich trotzdem verändern. Es ist naiv zu glauben, dass man sich trotzdem an das alte halten kann. Dann müssen aber diese Leute ihre altdeutsche Buchstaben benutzen, die fast kein Mensch heute ausschreiben kann, so reden wie Goethes Faust, an jedes »t« ein »h« anhängen und in allen Diftongs ein »i« durch ein »y« ersetzen.


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