Ich öffnete nichtsahnend die Wohnungstür, da drückte sie sich schon an mir vorbei in meine Wohnung. Sie sah gehetzt aus, atmete heftig. Was is nu los, wollte ich fragen, aber schwieg lieber. Sie stand an die Flurwand gelehnt, und keuchte. Eine junge Frau, die ich nur flüchtig kannte, vom Sehen, wie man so sagt, und die eine automatische Pistole in der rechten Hand trug. Schwer hing sie an ihrem dünnen Arm. Als ich auf sie zugehen wollte, hob sie die Waffe gegen mich. Bleib stehen, sagte sie. Ok, antwortete ich, und ich bekam Angst. Waffen sind mir unheimlich. Was willst Du von mir ? - Halt die Schnauze sagte sie. Ich atmete tief durch, und ging an ihr vorbei ins Eßzimmer. Sie wich vor mir zurück, richtete immer mit beiden Händen die Pistole auf mich, und sagte nichts. Ich setzte mich hin, zündete mir eine Zigarette an, und schwieg. Sie kam mir nach. Die Autoschlüssel ! Den Geldbeutel ! Los !
Nein, sagte ich.
Wie - nein ?!
Nein. Du mußt mich schon erschiessen, wenn Du mich ausrauben willst.
Echt ?
Echt !
Da erschoss sie mich einfach, nahm meinen Autoschlüssel und meinen Geldbeutel, und ging wieder aus der Tür. Ich muß sagen, ich war einigermassen fertig nach diesem Auftritt, aber schaffte es dann doch, die Polizei anzurufen. Tatsächlich kam kurz darauf ein Streifenwagen und eine Zivilstreife. Ich wurde sehr sorgfältig vernommen. Und die hat sie einfach so erschossen, fragte mich der Zivilbeamte ? Unglaublich. Aber da sehen Sie's: hätten Sie ihr einfach die Schlüssel und das Geld gegeben, dann würden Sie jetzt noch leben ! Und jetzt sind sie tod, und ihr Auto und die paar Piepen würden ihnen auch nichts mehr nützen. Er hatte recht. Ich mußte ein Protokoll unterschreiben, dann gingen die Beamten wieder.
Ich schlief sehr schlecht in dieser Nacht, und war froh, als es endlich sieben Uhr wurde, und ich aufstehen konnte, ins Büro gehen konnte. Unterwegs ging ich wie immer zum Bäcker Frühstück kaufen. Die Verkäuferin begrüsste mich mit freudigem Interesse: Mensch, Herr Keuner, das ist ja ein Ding - stimmt das, daß sie gestern nacht erschossen worden sind ? Donnerwetter ! Und wie fühlt man sich so, als Toter ? Naja, sagte ich, die Arbeit wird davon auch nicht weniger. Sie packte mir meine belegte Semmel ein, und ich ging ins Büro. Meine Sekretärin war erstaunt. Das Sie heute zur Arbeit kommen - also ich wäre nicht zur Arbeit gekommen, am Tag nach meinem Tod ... es stand schon in der Lokalzeitung auf S. 1, daß ich erschossen worden war. Sie las mir den Artikel vor. Und tatsächlich riefen ununterbrochen Leute an, die wissen wollte, wie es mir jetzt ginge, und mir viel Glück wünschen wollten, es würde schon wieder werden. Ärgerlich war ein Telefax der Steuerberaterkammer: mit meinem Tod erlösche meine Zulassung als Steuerberater, ein Kollege sei zum Abwickler meiner Kanzlei bestellt worden, und würde sich mit mir in Verbindung setzen. Und die Brüder meiner Mutter hatten angerufen. Sie seien meine gesetzlichen Erben, und wieviel Geld ich auf dem Konto hätte. Erst jetzt wurde mir so richtig bewußt, was mein Tod für fürchterliche Konsequenzen für mich haben würde. Ich verließ das Büro, und ging zur Bank. Auf meinen Konten trieben sich knapp 40.000 € herum, die ich abhob. Es brauchte ein wenig, bis die Schalterangestellte das Geld zusammen hatte. Alle sahen mich sehr merkwürdig an in der Schalterhalle: das ist doch der Steuerberater, den sie gestern erschossen haben, hörte ich flüstern, aber ich tat so, als ging mich das garnichts an. Mit dem Geld ging ich zum Bahnhof, und löste eine Fahrkarte nach München. Dort kannte mich niemand, und es schien mir unmöglich, daß dort von meinem Tod etwas in der Zeitung stehen würde. Ich würde dort sicherlich erst mal für ein paar Tage untertauchen können.
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